Kunstvermittlung in Gebärdensprache

Wie gebärdet sich Kunst?

Vom Genuss, Kunst in der eigenen Muttersprache zu erleben

Sprachwitz, detailreicher Ausdruck und das Gefühl, willkommen und verstanden zu sein, all das bietet die eigene Muttersprache. Das bestätigen auch diejenigen, die Gebärdensprache als Muttersprache gelernt haben. Die Lebendigkeit ihrer Kommunikation wird bei übersetzten lautsprachlichen Ausstellungsführungen stark eingeschränkt, es gehen viele Informationen verloren. Wenn ich Kunst und Kultur zeitgemäß erlebbar machen will, braucht es eine Kommunikationsform/Sprache, in der jeder sich frei und lebendig ausdrücken kann. Insofern ist es ein Gewinn, dass seit vielen Jahren Gehörlose in ihrer Muttersprache Führungen von Gebärdensprachen-Muttersprachlern in der Bundeskunsthalle buchen und Kunst in vertrauter Art und Weise erleben können.

Die Kunstvermittler/-innen, die seit Januar Führungen in deutscher Gebärdensprache (DGS) oder Lautsprachbegleitenden Gebärden (LBG) für Schwerhörige anbieten, sind allesamt Muttersprachler und haben eine Weiterbildungsreihe zur „Ausstellungs- und Museumsführung in deutscher Gebärdensprache“ absolviert. Auf Initiative von Birgit Tellmann (Bundeskunsthalle) und Annette Ziegert (KunstvermittelnHeute) konnte im Rahmen des Förderprojekts PILOT INKLUSION und in Kooperation mit dem Katholischen Bildungswerk Bonn ein Qualifizierungsmodul für Gehörlose und Schwerhörige realisiert werden.

Die Weiterbildungsmodule wurden von Annette Ziegert gemeinsam mit mir, der Co-Trainerin Birgit Ocken (Integrative Persönlichkeits- und Projektarbeit), konzipiert und durchgeführt. In der sich anschließenden Erprobungsphase der Kunstvermittler/-innen in der Ausstellung Japans Liebe zum Impressionismus konnten Besucher/-innen aller Altersstufen es genießen, sich in ihrer Muttersprache über die Kunstwerke auszutauschen. Sie schilderten durchweg, wie positiv sie es erleben, selbstverständlich in ihrer Sprache willkommen zu sein, sich ausdrücken zu können und, das betrifft die Schüler/-innen unter ihnen, ein mögliches Berufsfeld für sich zu entdecken. Für manche Schüler/-innen war es gar der erste Museumsbesuch überhaupt und sie waren begeistert. Sie zeigten sich vor allem beeindruckt, wie schön die Gemälde im Original sind. „Ich fühle mich wie in Japan“, sagte einer der Schüler über sein Lieblingsbild der Ausstellung. „Ich möchte in dieses Bild hineingehen und in Japan sein. So schön ist es!“

Unterscheiden sich die Führungen in Gebärdensprache eigentlich von den lautsprachlichen?

Ich finde, ja. Vor allem zwei Aspekte haben mich jedes Mal sehr beeindruckt: Da ist zum einen die Zugewandtheit in der Besuchergruppe. Da sich alle Gebärdensprachler/-innen sehen müssen, um miteinander kommunizieren zu können, muss die Gruppe kleiner sein als bei lautsprachlichen Führungen und sich eher im Halbkreis um Kunstwerk und Kunstvermittler/-in gruppieren. Es gibt keine zweite oder dritte Reihe, aus der heraus man Besucher/-innen sprechen hört, die man vielleicht gar nicht sieht, die buchstäblich gesichtslos bleiben. Hier sieht jede/r jeden und wenn jemand etwas fragt oder seine Ideen beiträgt, sieht man seine/ihre Gebärdensprache mit dem Ausdruck des ganzen Körpers. Man sieht sich an, nimmt aufeinander Bezug, berührt sich, um sich auf etwas aufmerksam zu machen. Auf mich wirkt das viel natürlicher als die Distanz der Besucher/-innen zueinander in lautsprachlichen Führungen. Wenn ich wählen könnte, würde ich mich den Führungen in Gebärdensprache anschließen.

Der zweite Aspekt bezieht sich auf den Umfang des Vokabulars der verschiedenen Sprachen. Unsere Lautsprache hat sich über Jahrhunderte entwickeln und ausprägen können; wir verfügen über einen umfassenden Wortschatz, in dem Worte wie „Impressionismus“ selbstverständlich sind oder nachgeschlagen werden können. Die Entwicklung der Gebärdensprache ist im Vergleich noch recht jung, dementsprechend ist das Gebärdenvokabular viel kleiner. Die neuen Kunstvermittler/-innen müssen sich also nicht nur das Fachwissen erarbeiten und eine Besuchergruppe führen, sondern vor allem auch noch neue Gebärden entwickeln. Vor den ersten Führungen gab es zum Beispiel keine Gebärde für „Impressionismus“, jetzt gibt es sie. Ich bewundere den Mut und die Kreativität dieser Kunstvermittler/-innen, mit ihrem neuen beruflichen Einsatz gleichzeitig ihre eigene Sprache weiter zu entwickeln. Ich bin gespannt, welche neuen Gebärden in den kommenden Ausstellungen noch entstehen werden.