Alexander Braun posiert vor einem Comic-Film, der in der Ausstellung gezeigt wird

Phänomen Comic (Part I)

Alexander Braun erklärt die Faszination der „neunten Kunst“

Mit rund 300 Exponaten aus Amerika, Europa und Japan ist Comics! Mangas! Graphic Novels! die bisher umfangreichste Ausstellung zur Geschichte dieser Gattung in Deutschland und noch bis zum 10. September 2017 in der Bundeskunsthalle zu sehen.
Was fasziniert uns so am ersten Bildmassenmedium der Geschichte? Und warum wird der Comic als Kunstform so maßlos unterschätzt? Kurator Alexander Braun hat Antworten auf diese Fragen.

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Woher rührt Ihre Faszination für Comics? Gab es eine Initialzündung?

Es gab keine Initialzündung im Sinne eines einzelnen glücklichen Moments. Ich habe wie viele andere Kinder und Jugendliche in den 1970er- und 1980er-Jahren Comics gelesen. Ich hatte das Glück, dass es damit in meinem Elternhaus keine Probleme gab. Ich durfte sie lesen, ich durfte sie pflegen. Nach dem Abitur bin ich dann zunächst in den Bann der zeitgenössischen Kunst geraten. Ich bin bildender Künstler geworden und habe in Kunstgeschichte promoviert, dabei den Comic aber immer interessiert weiterverfolgt. Irgendwann war ich dann zunehmend verärgert darüber, dass das Medium Comic in der sogenannten Hochkultur so wenig zur Kenntnis genommen wurde und per se aus jedem kunsthistorischen Diskurs ausgeschlossen blieb. Dabei gab es gerade in der Pionierzeit viele Comic-Künstler, die auf Augenhöhe mit der bildenden Kunst agierten.

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Gab es für Sie einen Comic, der alles verändert hat?

Nicht wirklich, aber wenn ich einen nennen müsste, würde ich am ehesten Winsor McCay nennen. Der Mann hat 20 Jahre vor den Surrealisten surrealistisch gearbeitet. Er hat sich mit Träumen im Sinne Sigmund Freuds beschäftigt: Traum und Alptraum als Reflexion von Erlebnissen aus dem Alltag. Die französischen Surrealisten nahmen darauf erst in den 1920er-Jahren Bezug. McCay begann mit seiner Arbeit aber bereits 1904/05, in dem Jahr, in dem Salvador Dalí geboren wurde. Das ist absolut verblüffend. Jede Surrealismus-Anthologie müsste mit Winsor McCay beginnen, aber er findet bis heute in der Kunstgeschichte keinerlei Erwähnung.

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Was zeichnet einen gelungenen Comic aus?

Das lässt sich nicht beantworten. Comics sind so verschiedenartig. Wie will man sagen, was einen gelungen Film auszeichnet? Es ist die Mischung aus einer guten Geschichte und einer ästhetisch ansprechenden oder innovativen Umsetzung. Beim Comic – wie auch beim Film – ist das Ergebnis dann interessant, wenn viele Aspekte ineinandergreifen und ein Gesamtkunstwerk entsteht. Es gibt Comics, die haben eine tolle Geschichte, sind aber mitunter schlecht gezeichnet. Und es gibt Comics, die sind großartig gezeichnet, erzählen aber eine redundante Geschichte. Da ist das Spektrum genauso vielfältig wie in anderen Bildformen auch. Es gibt Romane, die stilistisch hervorragend sind, eine fantastische Sprache haben, aber der Inhalt langweilt uns zu Tode. Und andersherum. Das alles gilt auch für den Comic. Wenn beides toll ist, Inhalt und Form, dann kommt es zu einem Meisterwerk.

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Sind gerade deshalb Autor und Zeichner so selten ein und dieselbe Person? Ist der Comic eine besonders demokratische Form der Kunst?

Der Comic ist zunächst deshalb so demokratisch, weil er im Gegensatz zu anderen Kunstformen nur bescheidene Produktionsmittel braucht. Der Zeichner benötigt ein Stück Papier und einen Stift oder Pinsel, und schon geht es los. Ich würde aber nicht sagen, dass Autor und Zeichner in Personalunion selten sind: Es gibt Comics, die vom Zeichner auch getextet werden – also einen „Autoren-Comic“ –, und solche, bei denen ein Autor das Skript entwirft, quasi das Drehbuch, und es dann an den Zeichner übergibt, der es in Bilder umsetzt. Diese Arbeitsteilung ist häufig angeraten, weil es begnadete Erzähler gibt, die aber nicht gut zeichnen können. Andersherum gibt es  unglaublich talentierte Zeichner, die aber unter Umständen keine guten Geschichtenerzähler sind. Auch das ist wie in anderen Kunstformen. Wir kennen ja auch Regisseure, die ihr eigenes Drehbuch verfilmen, während andere auf fremde Drehbücher zurückgreifen. Das hängt von der jeweiligen Persönlichkeit ab, ob es der Künstler ertragen kann, dass die Geschichte nicht von ihm stammt, sondern „nur“ die Zeichenkunst.

„Ich habe versucht, diese Comics zu retten, weil es kein Museum getan hat.“

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Sie selbst sind leidenschaftlicher Sammler. Was ist die Motivation dabei? Denken Sie wirtschaftlich oder sammeln Sie nach subjektivem Interesse?

Weder, noch. Sammler sind sehr unterschiedlich aufgestellt. Viele sammeln ganz subjektiv das, was ihnen am besten gefällt. Ich bin eher kulturhistorischen Aspekten gefolgt. Ich habe versucht, zu retten, was ich aus kunsthistorischen Gründen für bemerkenswert und innovativ gehalten habe, egal, ob das eine große Fan-Basis hat oder kommerziell erfolgreich ist. Wir leben leider in einer Zeit, in der Museen und Institutionen sehr wenig Augenmerk auf den Comic richten. Also habe ich gesammelt, wie es ein Museum tun würde: breit und mit der Absicht, eine gewisse Zeit mit Exponaten angemessen repräsentieren und transparent machen zu können. Gerade bei den historischen Zeitungsseiten, die zum Teil 120 Jahre alt sind, haben wir große konservatorische Probleme. Wegen des hohen Säureanteils im Zeitungspapier brechen sie auseinander. Ich empfand die Notwendigkeit, wenn die Institutionen nicht aktiv werden, dass es dann Privatpersonen tun müssen. Auch dabei gibt es eine bescheidene, aber ehrenvolle Tradition. Kollegen wie der bereits verstorbene Bill Blackbeard haben schon in den 1960er-Jahren in den USA angefangen, Comic-Strip-Seiten zu retten. Ein kulturelles Gedächtnis der USA, das auf dem Weg zur Müllkippe war, eine fantastische Sammlung, die sich heute in der Ohio State University befindet.

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Warum war es Ihnen so wichtig, in der Ausstellung mit Virtual Reality zu arbeiten?

Die Idee dazu hatte der Projektleiter der Bundeskunsthalle, Ulrich Best. Am Ende haben wir schließlich drei VR-Stationen realisiert und uns dabei motivisch auf besonders frühe Zeichner konzentriert: Richard Outcault und sein Yellow Kid aus dem späten 19. Jahrhundert und Winsor McCay und seinen Comic-Strip Little Nemo in Slumberland aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die VR-Technik, dreidimensional in zweidimensionale Comic-Bilder zu gehen und sich darin um 360 Grad drehen zu können, also vollständig in eine fremde Welt einzutauchen, erschien uns als adäquate Simulation, mit heutigen Mitteln eine Emotion zu erzeugen, wie sie die Leser an der Wende zum 20. Jahrhundert hatten: diese große Zuversicht eines technischen „anything goes“ und das pure Staunen über das, was ihnen aus der Zeitungslektüre entgegenschlug: kostenlos beigelegte Comic-Strip-Seiten in Millionenauflage, groß im Format und vierfarbig im Druck. Eine Art Special-Effect-Offensive des 19. Jahrhunderts!


Lesen Sie im zweiten Teil des Interviews, warum Comics auf der ganzen Welt leidenschaftlich gelesen werden, sie es aber ausgerechnet in Deutschland schwer haben. Worin liegt der Unterschied zum japanischen Markt, wo der Manga so selbstverständlich gelesen wird wie die Tageszeitung? Und sind die Kinoadaptionen beliebter Superhelden ein Gewinn für den Comic als Medium?

COMICS! MANGAS! GRAPHIC NOVELS!
bis 10. September 2017 in Bonn

COMICS SOMMER-CLUB
Dienstag bis Samstag, 10–18 Uhr / Workshops, 15–18 Uhr
Sonntag, 11–17 Uhr / Workshops, 11–17 Uhr / „Wonder Woman“ erklärt Comics, 15–17 Uhr