Dichter Straßenverkehr in Teheran aus dem Auto fotografiert von Rein Wolfs

Nah und fern, fern und nah

Rein Wolfs über kulturelle Vielfalt – in der Bundeskunsthalle und im Magazin

Heute bringen wir nah, was uns fern ist, und wir exportieren das, was uns nah ist, in die Ferne. Damit meine ich durchaus nicht in erster Linie Güter und Waren, sondern Kunst und Kultur, Werte und Ideen, Erfindungen und Erzählungen. Als Medium für einen solchen Transfer kann eine Ausstellung ebenso tauglich sein wie das Fernsehen, der Film, Literatur oder auch Journalismus – freilich mit den jeweils eigenen Qualitäten und Perspektiven. In der Bundeskunsthalle verstehen wir uns von je her, seit unserer Gründung vor 25 Jahren, als Austauschstation zwischen Deutschland und der ganzen Welt. Und nebenbei knüpfen auch die völlig unterschiedlichen Ausstellungen, die in unserem Haus zu sehen sind, untereinander Verbindungen zwischen Kulturen, Ländern, Zeiten und Themen.

In den letzten zwei Jahren war ich bei den Vorbereitungen für unsere aktuelle Iran-Ausstellung mehrmals in Teheran. Im lärmenden und hypernervösen Verkehr dieser Großstadt empfiehlt sich hin und wieder ein bewusster Blick in die Ferne. Dort, am Horizont, auf den Gipfeln der herrschaftlich aufragenden Bergkette, findet das Auge einen Moment lang Ruhe. Das dauernde Dröhnen der Straße wirkt nun eher flüchtig, das Treiben der riesigen Metropole wie eine kurze Sequenz im Zeitstrang einer sich fortwährend verändernden, entwickelnden Kultur. Die prägende Umgebung, die Berge, die Wüste, das Meer bleiben konstant, während die Stadt epochenweise ihr Antlitz wechselt. Umgeben von unterschiedlichsten Architekturen, die Spiegel ihrer Zeit und Gesellschaft sind, zwischen Brutalismus und neuester Architektur internationalen Ranges, wird diese Differenz spürbar.

Im subjektiven Empfinden von Kunsthistorikern, Archäologen und anderen Kultur- und Geschichtsforschern rast die Zeit mitunter nur so dahin: Kulturen überleben sich, verändern sich, werden überformt oder lösen sich auf. Ihre Zeugnisse zu bewahren, aber auch zu beforschen und das Wissen darüber zu vermitteln, ist der Kern unserer Aufgabe und letzteres auch das zentrale Anliegen  unserer Ausstellung Iran. Frühe Kulturen zwischen Wasser und Wüste. Weit gereist sind die vielen staunenswerten Exponate, die wir unseren Besuchern nun teils erstmals in Deutschland zeigen, nahebringen können.

Sehr nah an uns dran, an unserem Alltag und am Zeitgeschehen, arbeitet die Künstlerin Katharina Sieverding. Ihre Perspektive ist dennoch global – so wie es auch die Auswirkungen politischen und gesellschaftlichen Handelns oft sind, auch wenn man sich dies nicht immer bewusst macht. Seit 50 Jahren arbeitet Katharina Sieverding über Dinge, die sie als Künstlerin und als politisch denkender Mensch bewegen.

Vor 25 Jahren, im Jahr 1992, entstand die Arbeit „Deutschland wird deutscher“ für eine deutsche Gesellschaft, die einerseits im Begriff war, sich der Welt neu zu öffnen und im Zuge der Einheit und dem Ende des Kalten Krieges globaler zu werden. Andererseits reflektiert die Arbeit auf ein Deutschland der Nachwende, zu dem auch die fremdenfeindlichen Anschläge von Rostock, Mölln und Solingen gehören. Katharina Sieverding platziert diese Arbeit bewusst im öffentlichen Raum, wo sie als Großplakat für Diskussionsstoff auf der Straße, in der Presse und in der Politik sorgte.

Heute, 25 Jahre später, präsentiert sie diese Arbeit im halböffentlichen Herzen der Bundeskunsthalle – im Foyer –, wie auch im öffentlichen Raum in Bonn und in Köln. Heute ist es die Gefahr des Rechtspopulismus, die die Arbeit von Katharina Sieverding leider erneut aktuell macht. Eine Sorge, die aus deutscher Perspektive noch vor einiger Zeit fern schien und nun näher zu kommen droht.

So wie die Bundeskunsthalle kann auch ein Magazin sehr unterschiedliche Themen beleuchten und vereinen. Aus der kulturellen Vielfalt heraus schöpfen wir unser inhaltliches Potenzial, das wir für verschiedenste Besuchergruppen zugänglich machen möchten. Für uns ist der Begriff der kulturellen Vielfalt ein Leitmotiv unserer Arbeit. So werden durch die elektronische Herausgabe dieses Magazins unsere programmatischen Leitgedanken sprachlich vielschichtig gestärkt. Auf der globalen Plattform des Netzes lassen wir künftig Nah und Fern elektronisch verschmelzen.

Beim Lesen dieses Magazins wünsche ich mindestens so viel Vergnügen, Erkenntnisgewinn und Austausch wie bei den Besuchen unserer Ausstellungen.

Alles Gute,
Rein Wolfs

Plakatierung U-Bahn Heussallee / Museumsmeile, Bonn © Katharina Sieverding, VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH