Die Bullen posieren an der Leine für ein Foto

Bulls Without Horns

Aleksandra Domanović auf den Spuren der Genetik

Aleksandra Domanović besuchte im Herbst 2015 eine Paneldiskussion in New York, die sich mit möglichen Anwendungen von CRISPR/Cas9 befasste – einem Genome-Editing-Tool, das aufgrund seiner Möglichkeiten, in der Biotechnologie eine breite Revolution anzustoßen, als „Modell T der Genetik“ bezeichnet wurde. Wie das Ford-Modell T ist CRISPR nicht die erste Technologie ihrer Art, sie transformierte aber die Landschaft, indem sie ein komplexes Tool verlässlich und nicht zuletzt kostengünstig machte. Bei diesem Panel versuchte der Biologe Kevin Esvelt, der sich selbst als „evolutionärer Bildhauer“ bezeichnet, dem Publikum die Möglichkeiten der CRISPR-Technologie anhand eines Beispiels zu erläutern: „Das bedeutet, wenn die Tochter eines wohlhabenden Mannes ein Einhorn zum Geburtstag haben will, so können wir das machen!“ Dazu stellte jemand aus dem Publikum die Frage: „Und wie schaut es mit Stieren ohne Hörner aus?“ Die Molekularbiologin Jennifer Doudna antwortete darauf, „Das wurde bereits gemacht.“

In der Tat, es wurde bereits gemacht, u.a. von der Tiergenetikerin Alison Van Eenennaam, die an der UC (University of California) Davis forscht. Sie arbeitet derzeit mit den ersten beiden Stieren, die genetisch so verändert wurden, dass ihnen keine Hörner wachsen. Im Gespräch mit Aleksandra Domanović erläutert sie die Motivation hinter ihrer durchaus umstrittenen Arbeit, erzählt von Klonen, die nicht identisch sind, und ihren Erfahrungen als Frau in der Wissenschaft.

 

Alison Van Eenennaam mit den Bullen
Alison Van Eenennaam mit den Bullen, 2016 / Courtesy die Künstlerin und Tanya Leighton, Berlin © Foto: Aleksandra Domanović und Spencer Lowell

Aleksandra Domanović: Können Sie mir bitte in einfachen Worten erklären, wie die beiden Bullen Spotigy und Buri entstanden sind?

Alison Van Eenennaam: Es sind Holsteiner Bullen, die in einem ihrer Gene eine DNA-Veränderung aufweisen. Diese Veränderung wurde mit dem Tool TALEN vorgenommen, das der CRISPR-Technologie gleicht. Es ist eine Nuklease, die im Grunde genommen als molekulare Schere fungiert. Sie zerschneidet die DNA genau an der Stelle, die wir ihr vorgeben. Unsere Vorgabe war, das Gen herauszuschneiden, das bei Milchvieh für das Wachstum der Hörner verantwortlich ist. Wir wollten das beim Milchvieh vorhandene Allel (oder die Variante) des Gens durch das des Schlachtrinds ersetzen. So gingen wir da rein und haben das Gen so verändert, dass es nun das beim Schlachtvieh – genauer gesagt bei Angusrindern – vorhandene Allel aufweist. Somit werden diesen Rindern keine Hörner wachsen. Sie sind genetisch enthornt.

AD: Es fällt auf, dass die beiden Stiere sich durchaus unterscheiden. Ich dachte, Klone wären immer zu 100 Prozent identisch.

AV: Naja, haben Sie schon mal eineiige Zwillinge gesehen? Die sind ja auch nie zu 100 Prozent identisch. Was bei schwarz-weißen Holsteinern etwas irritiert, ist, dass ihr genaues Farbmuster durch die Migration der Zellen während der Embryogenese festgelegt wird. Sie weisen zwar denselben Anteil von Schwarz und Weiß auf, die Farben können aber leicht unterschiedlich verteilt sein. Wie man sieht, haben beide auf ihren Köpfen etwa an der Stelle, wo eigentlich ihre Hörner wären, Flecken – aber das ist einfach Zufall. Das hat nichts mit unserer genetischen Enthornung zu tun. Aus diesem Grund habe ich den einen Bullen Spotigy genannt! Aber wie man sehen kann, ähneln sich ihre Flecken nicht wirklich und die Fellmusterung ist auch nicht identisch. Grundsätzlich sehen sie sich trotzdem ähnlich.

„Es ist ein unglücklicher Zufall, dass die Erbanlagen der besten Milchkühe den behornten Phänotyp aufweisen.“

AD: Warum sind Rinder ohne Hörner überhaupt wünschenswert?

AV: Das Hauptproblem ist, dass domestizierte Tiere mit Hörnern einander verletzen – und sie verletzen auch die Menschen, die mit ihnen umgehen. Wenn man also zurückblickt auf die Zeit vor der Enthornung, so wurden immer wieder Menschen von den Tieren aufgespießt, und die Tiere haben sich auch gegenseitig mit ihren Hörnen aufgespießt. Historisch betrachtet hatten die Hörner ganz offensichtlich einen Zweck, als die Rinder noch in Freiheit lebten und Wölfe oder andere Raubtiere abwehren mussten. Heute stellen sie aber ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Tiere als auch für den Menschen dar. Das ist der Hauptgrund, warum die Hörner weltweit in der Milchindustrie fast routinemäßig entfernt werden. Es ist ein unglücklicher Zufall, dass die Erbanlagen der besten Milchkühe den behornten Phänotyp aufweisen. Es spricht nichts dafür, dass Rinder unbedingt zwei Hörner haben müssen; dieses Merkmal reiste quasi als Tramper einfach bei den guten Genen für Milch mit.

Als Züchter sehe ich also die Genetik als bessere Lösung für dieses Problem an, als den Rindern ihre Hörner abzuschneiden oder abzubrennen. Ebenso sehe ich das Züchten auf Krankheitsresistenz als bessere und tierfreundlichere Lösung gegenüber Krankheiten an als im Gegensatz dazu krankes Vieh mit Antibiotika behandeln zu müssen. In meinen Augen bietet die Genetik eine nachhaltige und dauerhafte Form der Problemlösung in Tierproduktionssystemen an, und da liegt mein Interesse.

AD: Ich verfolge die Entwicklung der CRISPR/Cas9-Methode jetzt seit ein paar Jahren. Was gleich zu Anfang meine Aufmerksamkeit anzog, war, dass hier zwei Frauen das Feld anführen: Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier. Wie waren bislang deine Erfahrungen als Frau in der Wissenschaft?

AV: Nun ja, es war eine Herausforderung, aber eine nicht ganz so große wie für meine Vorgängerinnen, die oftmals auf Kinder verzichten mussten, um Karriere in der Wissenschaft zu machen. Wissenschaftlicher Fortschritt und die Entdeckungen, die von miteinander konkurrierenden Labors gemacht werden, unterbrechen ihre Arbeit nicht für Mutterschutz oder Elternzeit. Wenn man sich da zu lange rausnimmt, riskiert man, dass man wissenschaftlich den Anschluss verliert. Meine beiden Söhne sind inzwischen Teenager, aber als sie noch klein waren, war es eine große Herausforderung, meine Arbeitszeit mit der Zeit für sie zu vereinbaren. Ich habe eine ziemlich verrückte Work-Life-Balance, aber ich fand schon immer, dass dieses Wort eine unzutreffende Bezeichnung ist. Die Arbeit ist keine isolierte Tätigkeit, die gegen das restliche Leben abgewogen werden kann; sie ist ein wirklich wichtiger Teil des Lebens. Für mich sind Arbeit, Leben, Familie, Freizeit und Kinder zusammen einfach ein einziges großes Durcheinander. Ich liebe die geistige Freiheit, die mein Beruf mir ermöglicht und finde große Befriedigung darin, die Wissenschaft und ihre neusten Errungenschaften auf das Lösen von Problemen zu verwenden. Als Frau habe ich hin und wieder Sexismus erlebt und Hindernisse in den Weg gestellt bekommen, aber ich mache einfach weiter meine Arbeit und versuche, mich davon nicht unterkriegen zu lassen.

„Ich will nicht auf Einstein rumhacken, aber er hatte doch wirklich eine interessante Frisur!“

AD: Eine weitere führende Figur in der Genetik ist James Watson. Tatsächlich las ich erstmals etwas über ihn, als er aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft ausgeschlossen wurde und seine Nobelpreismedaille für mehrere Millionen Dollar versteigert hat. Er sagte, er wollte das Geld unter anderem dafür verwenden, ein Bild von David Hockney zu kaufen. Ich frage mich, ob Sie mir etwas über einen anderen Aspekt in Bezug auf Watson sagen können: seine Verbindung mit Rosalind Franklin, die zeitgleich mit ihm und anderen die Struktur der DNA entdeckte?

AV: Rosalind Franklin war eine englische Chemikerin und arbeitete als Kristallografin mit Röntgenstrahlen. Sie betreute einen Doktoranden, der die berühmte Röntgenaufnahme gemacht hat, welche eine Doppelhelix-Struktur der DNA nahelegt. Es gibt eine Kontroverse darüber, ob die Aufnahme ohne Franklins Wissen Jim Watson und Francis Crick gezeigt worden war, bevor sie 1953 ihren berühmten Aufsatz publizierten, der die vermutete DNA-Struktur detailliert beschrieb. Ungeachtet dessen wurde ihr Name bei den Reden der Herren zur Annahme des Nobelpreises im Jahr 1962 nicht erwähnt. Rosalind Franklin starb 1958 an Eierstockkrebs, im jungen Alter von nur 37 Jahren.

Ich denke, das Interessante an den Diskussionen zu Rosalind Franklin sind die vielen Bezugnahmen auf ihr Äußeres und ihre schwierige Persönlichkeit. In Jim Watsons Buch The Double Helix von 1968 (auf Deutsch 1969 erschienen unter dem Titel Die Doppelhelix) wird sie als kühle Frau dargestellt, die „hätte schön sein können, wenn sie ihre Brille losgeworden wäre und etwas Interessantes mit ihren Haaren angestellt hätte“. Über männliche Wissenschaftler liest man sowas nie. Ich will nicht auf Einstein rumhacken, aber er hatte doch wirklich eine interessante Frisur!


Lesen Sie das vollständige Interview im Katalog zur Ausstellung „Aleksandra Domanović. Kalbträgerin“ und erfahren Sie, warum eines der beiden Tiere hat sterben müssen, und ob Mendel wirklich wusste, wovon er sprach. Außerdem: „Wenn DNA eine Droge ist, so ist alles Leben auf der Erde high.“ – Warum Genetik eine Frage der Wissenschaft, Ethik und nicht zuletzt Politik ist.

ALEKSANDRA DOMANOVIĆ
KALBTRÄGERIN
2. Juni bis 24. September 2017

Portrait von Aleksandra Domanović,
Aleksandra Domanović,
Ausstellungsansicht, Stele mit Kalb auf den Schultern neben einem Stier verteilt auf zwei Bildern
Ausstellungsansicht „Aleksandra Domanović. Kalbträgerin“
Ausstellungsansicht, Stele mit Kalb auf den Schultern
Ausstellungsansicht „Aleksandra Domanović. Kalbträgerin“
  1. Bullen ohne Hörner, 2016, Courtesy die Künstlerin und Tanya Leighton, Berlin © Foto: Aleksandra Domanović / Fotografen: Aleksandra Domanović und Spencer Lowell
  2. Foto: Jennifer Zumbusch © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  3. Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  4. Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

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