Síntesis Planetaria. Crafting A Worldview – Paco Vallejo, Foto: Claudia Raupach

Kunstnebel, Lederpeitsche und durchnässtes Konfetti

Was von der Berlin Art Week 2017 übrig bleibt

Ein bisschen fühlt sich diese Woche in Berlin wie die Zeit kurz nach Neujahr an. Man hängt irgendwo zwischen Völlegefühl, stillgelegter Geschäftigkeit und dem langsam aufkeimenden Drang nach einem Neuanfang. Über der Stadt hängt noch der wohlige Nebel von durchzechten Nächten. Die Straßen habe ich heute zwar noch nicht gesehen, bin mir aber sicher, dass sie mit durchnässtem Konfetti gepflastert sein müssen. In meiner Vorstellung reihen sich dreckige Luftschlangenreste und leere Proseccoflaschen in diese Landschaft.

Am Sonntag feierte die sechste Berlin Art Week ihr Finale. Fünf Tage lang verwandelte sie die Hauptstadt mit rund 50 beteiligten Partnern und über 150 Einzelveranstaltungen in einen Schauplatz, ein Experimentierfeld der zeitgenössischen Kunst. Seit der Eröffnung am 13. September zog das nationale und internationale Kunstpublikum im Schnellschritt durch die Institutionen, Kunstmessen, Galerien, Privatsammlungen und Projekträume; über die Public Interventions, Performances, Konzerte, Sammlungen und Theateraufführungen. Gefühlt stand die ganze Stadt Kopf, und ich habe in diesen fünf Tagen viel gesehen. Aber was bleibt nach der Berlin Art Week von diesem Kunststurm übrig? Welche Ausstellungen können auch jetzt noch besucht werden? Anbei eine Auswahl.

 

„Mit anderen Mitteln – By Other Means“ – Harun Farocki, Neuer Berliner Kunstverein

Der Neue Berliner Kunstverein versammelt in der aktuellen Ausstellung, die noch bis zum 28. Januar 2018 zu sehen ist, filminstallative Arbeiten Harun Farockis. In den meist mehrkanäligen Installationen kommt das für Farocki zentrale Motiv der „weichen Montage“ zum Tragen: Die Bilder werden nicht nur hintereinander, sondern auch nebeneinander montiert. Dieses Prinzip wird auch auf den Ausstellungsraum übertragen, in dem die Arbeiten so aufgebaut wurden, dass sie gemeinsam und vergleichend betrachtet werden können. Filme werden zitiert und deren Bildsprachen analysiert. Die 6-Kanal-Videoinstallation Fressen oder Fliegen (2008) befasst sich beispielsweise mit dem Motiv des männlichen Selbstmörders im fiktionalen Film.

Harun Farocki: Mit anderen Mitteln – By Other Means, Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, 2017 © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe
Harun Farocki: Mit anderen Mitteln – By Other Means, Ausstellungsansicht Neuer Berliner Kunstverein, 2017 © Neuer Berliner Kunstverein / Jens Ziehe

„A Hunger Artist“ – Daria Martin, Schering Stiftung

Die 15-minütige Videoarbeit A Hunger Artist von Daria Martin bündelt Themen wie Voyeurismus, Machtbeziehungen, das Surreale, den Mythos des Künstlers und körperliche Verwandlungen. Martins bildstarker Film adaptiert zugleich Kafkas Ein Hungerkünstler (1922/1924), eine doppeldeutige Allegorie über einen Künstler, dessen wochenlanges, öffentliches Hungern Hunderte von Menschen in seinen Bann zieht, bis das Publikum schließlich das Interesse verliert und er sich, gerade noch sich selbst zu Gefallen, zu Tode hungert. Die Ausstellung endet am 10. Dezember 2017.

A Hunger Artist – Daria Martin, Foto: Claudia Raupach
A Hunger Artist – Daria Martin, Foto: Claudia Raupach

 

„3612,54 M³ VS 0,05 M³“ – Monica Bonvicini, Berlinische Galerie

Der umständliche Ausstellungstitel bezieht sich ganz einfach auf das Volumen des Ausstellungsraums (3612,54 m³) und das der Künstlerin (0,05 m³). Noch bis zum 26. Februar 2018 ist Monica Bonvicinis jüngste Auseinandersetzung mit Raum und Gender und mit den herrschenden Machtkonstellationen – ein zentrales Thema in Bonvicinis Gesamtwerk – in den Räumen der Berlinischen Galerie zu sehen. Zentrales Ausstellungsstück: Eine deckenhohe motorisierte Peitsche, gefertigt aus ledernen Gürteln, die sich in einer 15-Minuten-Choreografie durch den engen, hohen Ausstellungsraum bewegt. So richtig nah traut man sich an die raumgreifende Peitsche nicht heran, deren harte Mechanikgeräusche das Macht-Raum-Thema auch auditiv erfahrbar machen.

3612,54 M³ VS 0,05 M³ – Monica Bonvicini, Foto: Claudia Raupach
3612,54 M³ VS 0,05 M³ – Monica Bonvicini, Foto: Claudia Raupach

 

„Whiteout“ – Willem de Rooij, KW Institute for Contemporary Art

I’m Coming Home in Forty Days, ein Produktionsstandbild im Großformat, das die Umsegelung eines Eisbergs in der Bucht von Iluissat, Grönland, zum Gegenstand hat. Es begegnet mir beim Eintritt in die reduzierten Ausstellungshallen. Das tiefe, ungewöhnlich warme Blau des Großformats steht im Kontrast zu den kühlen, steinernen Wänden und sensibilisiert in seiner Klarheit meine Sinne für den weiteren Gang durch die Räume: In der großen, dunklen KW-Halle treffe ich auf eine Sound-Installation, die das Geheul von Tausenden von Schlittenhunden wiedergibt, die Willem de Rooij 2014 bei einer weiteren Iluissat-Reise aufgenommen hat. Bis zum 17. Dezember 2017 sind diese und weitere Foto-, Film-, Skulptur- und Schreibarbeiten der Reisen des Künstlers in die abgelegene Stadt im westlichen Grönland noch zu sehen.

Willem de Rooij, Ilulissat, 2014, Digitale 12-Kanal-Tonaufzeichnung, Installationsansicht KW Institute for Contemporary Art, 2017, Foto: Frank Sperling
Willem de Rooij, Ilulissat, 2014, Digitale 12-Kanal-Tonaufzeichnung, Installationsansicht KW Institute for Contemporary Art, 2017, Foto: Frank Sperling

 

„Síntesis Planetaria. Crafting A Worldview“ – Paco Vallejo, Werkstadt Kulturverein e.V.

Aufwändige Formen, bunte Materialien und viel Energie springen einen beim Betreten der Ausstellungsräume an. Ein Spiel mit Oberflächen, Raum und Perspektive – mit seinen aufwändig gefertigten Wollknoten und großen Papp- und Papierarbeiten stellt der Künstler Paco Vallejo bei aller Kreativität das einfache Handwerk in den Fokus und erhebt es zur Kunst. Noch bis zum 29. Oktober 2017 sind seine Arbeiten zu sehen.

Síntesis Planetaria. Crafting A Worldview – Paco Vallejo, Foto: Claudia Raupach
Síntesis Planetaria. Crafting A Worldview – Paco Vallejo, Foto: Claudia Raupach

 

„Prometheus Delivered“ – Thomas Feuerstein, Haus am Lützowplatz

Das Haus am Lützowplatz präsentiert noch bis zum 19. November 2017 die Arbeiten des österreichischen Künstlers Thomas Feuerstein, der sich an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst bewegt. Seine sich rein assoziativ irgendwo zwischen Experimentierlabor und Space-Pop bewegenden Arbeiten begegnen bei genauerer Betrachtung philosophischen, kunstgeschichtlichen und politischen Auseinandersetzungen.

Prometheus Delivered – Thomas Feuerstein, Foto: Claudia Raupach
Prometheus Delivered – Thomas Feuerstein, Foto: Claudia Raupach

 

„la > x Los Angeles Artists in Berlin“ mit Werken von Margaret Honda, Stephen Prina und Christopher Williams, Fahrbereitschaft Berlin

Schon allein wegen der speziellen Ausstellungsräume, in klassischen DDR-Bauten etwas abseits in Berlin-Lichtenberg untergebracht, und den daraus resultierenden Begegnungen mit den Kunstwerken lohnt sich ein Besuch in der Fahrbereitschaft. So entwickelte Margaret Honda z.B. eine neue Arbeit auf den Fenstern im Eingangsbereich speziell für diesen Ausstellungsort. Bis zum 2. Dezember 2017 zeigt die Sammlung Haubrok hier noch die Ausstellung la > x Los Angeles Artists in Berlin, die bereits das vergangene Artist Film Festival flankierte. Immerhin blicken Berlin und Los Angeles – bei aller Unterschiedlichkeit – auf eine langjährige Filmtradition zurück. Beiden Städten gemein ist eine lebendige Experimentalfilmszene.

la > x Los Angeles Artists in Berlin, Foto: Claudia Raupach
la > x Los Angeles Artists in Berlin, Foto: Claudia Raupach