Frau mit Down-Syndrom erläutert den Chromosomen-Wandteppich

Chromosomen-Wandteppich

Leicht, Einfach und Klar

Alles (un)klar?

„Die vielfältigen Funktionen, die die schriftliche Kommunikation in literalen Gesellschaften erfüllen muss, führen zu immer komplexer werdenden Vertextungspraktiken, die sich zu je spezifischen Textmustern und Textsorten verdichten. […] Das reicht bis hin zu Spezialdiskursen, die überhaupt nur noch von einer kleinen Gruppe von Experten rezipiert und verstanden werden können.“

Alles klar? Was auch immer die Duden-Redaktion ihren Lesern sagen wollte, versteht nur noch eine kleine Gruppe von Experten. Der Satz stammt übrigens aus dem 2016 erschienenen Duden „Leichte Sprache. Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis“. Das macht nicht unbedingt Lust auf mehr. Also: Alles auf Anfang.

In der Bundeskunsthalle läuft gerade TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom, für die u.a. das Forschungsprojekt TOUCHDOWN21 verantwortlich ist. Alle Texte der Ausstellung sind – genauso wie das Begleitbuch – in Klarer Sprache geschrieben. „Klare Sprache ist leicht verständlich. Jede und jeder kann sie verstehen. Menschen mit und ohne Behinderung. Menschen mit mehr oder weniger Deutsch-Kenntnissen. […] Klar-Text ist für alle angenehm“, so die Erläuterungen auf der Homepage des Forschungsprojektes Touchdown21.

Leichte und Einfache Sprache sind schon seit Längerem ein wichtiges Thema in unserer Arbeit als Kunstvermittler. Wie sage ich es meinen Zuhörern, wenn es um komplexe Sachverhalte aus Kunst- und Kulturgeschichte geht? Wie schaffe ich einen Zugang zu einem Thema, das mir als Fachfrau ganz selbstverständlich erscheint, von dem jedoch mein Gegenüber noch nie gehört hat? Oder das aufgrund einer Lernschwierigkeit oder geringer Deutschkenntnisse nicht nachvollzogen werden kann?

Einiges ist in Bewegung geraten

Seitdem 2009 die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist, ist die barrierefreie Zugänglichkeit auch bei Kultureinrichtungen in den Fokus gelangt. Leichte Sprache nimmt ihren Anfang in den 1970er Jahren in den USA. Die Idee kommt in den 1990ern in Deutschland an und führt 2006 zur Gründung des Netzwerks Leichte Sprache durch Menschen mit und ohne Lernschwierigkeiten. Gemeinsam werden Übersetzungsbüros gegründet und ein Regelwerk samt Wörterbuch entwickelt.

Seitdem ist einiges in Bewegung geraten: Behörden übersetzen ihre Websites in Leichte Sprache, Kulturangebote in Leichter Sprache werden entwickelt, Personal wird geschult …
Auch die Bundeskunsthalle bietet Informationen in Leichter Sprache auf ihrer Website an.

Was macht denn nun diese Form des Deutschen zu einer leichten Sprache? Die Grundregeln lauten: kurze Sätze, klare Satzstruktur, Vermeidung des Konjunktivs, Ersetzen des Genitivs durch den Dativ, Vermeidung von Fremdwörtern, gleiche Begriffe für gleiche Sachverhalte und in der optischen Textgestaltung ein verständlicher Aufbau mit vielen Absätzen, erklärenden Piktogrammen und einer klaren Typografie. Wie gesagt: die Grundregeln.

Die Lebenshilfe Bremen, einer der Vorreiter in diesem Bereich, bringt die Vorteile eines so aufbereiteten Textes auf den Punkt: „Leichte Sprache ist für alle Menschen. Jeder Mensch kann damit Texte leichter verstehen. Besonders Menschen mit Lernschwierigkeiten hilft leichte Sprache. Mit leichter Sprache kann man alles viel einfacher sagen. Leichte Sprache ist barrierefreie Kommunikation. Leichte Sprache hilft, damit wir Sachen besser verstehen können, damit wir Informationen bekommen, damit wir Sachen lesen können, damit wir an der Gesellschaft teilhaben können, damit wir uns an Gesprächen beteiligen können.“

Der kleine, aber feine Unterschied

Gestalte ich nun einen entsprechenden Ausstellungsrundgang, nutze ich Einfache Sprache – der kleine, aber feine Unterschied zwischen geschriebenem und gesprochenem Wort, den wir ja auch aus unserem Alltag kennen. Leichte Sprache geht in der Vereinfachung weiter als Einfache Sprache, weist aber Eigenheiten auf, die für das Ohr eines Zuhörenden oftmals sperrig klingen. Einfache Sprache legt das Regelwerk ein wenig lockerer aus und verfolgt doch dasselbe Ziel: Verstanden zu werden. Von allen Beteiligten.

Jetzt also Klare Sprache bei TOUCHDOWN. Sie steht der Einfachen Sprache nahe, zielt jedoch auch noch auf etwas anderes ab: In den Bezeichnungen leichte und einfache Sprache ist immer eine Wertung enthalten. Da braucht es jemand leicht oder einfach, weil er oder sie eine Lernschwierigkeit hat oder nicht gut Deutsch spricht oder nur schlecht schreiben und lesen kann oder nach einem Schlaganfall gerade wieder sprechen lernt oder … oder … oder: Der Adressatenkreis ist ein sehr heterogener. „Klare Sprache fragt nicht danach, wer etwas nicht versteht oder warum. Man kann auch sagen: Sie richtet sich nicht nach dem Defizit“, so das Forschungsprojekt TOUCHDOWN 21. Die Bezeichnung „klar“ ist neutral, wertfrei und trotzdem aussagekräftig.

Banalisierung der Wissenschaft?

Das ergibt natürlich Diskussionsbedarf: Die eine Sprache von Experten in eigener Sache entwickelt, die andere Sprache von Menschen ohne Behinderung. Die eine zu einfach, die andere nicht einfach genug. Gerade auch im Kulturbereich stoßen sich viele Museumsleute an der vermeintlichen Banalisierung ihrer Wissenschaft. Obwohl manchem Ausstellungstext, aber auch manchem geführten Rundgang durch eine Ausstellung der Einsatz von Klarer Sprache gut zu Gesicht stünde, wollen die beiden nicht nur von Eingeweihten verstanden werden. Expertenwissen sprachlich aufzubereiten ohne dabei den Inhalt zu banalisieren, ist eine Kunst, die Präzision, Einfühlungsvermögen und den Blick fürs Wesentliche voraussetzt.

Eins ist klar: Das Thema bewegt, Menschen wie Prozesse. Bis eine möglichst optimale Variante der sprachlichen Herangehensweise gefunden ist, wird es noch ein wenig dauern. Aber ein erster Austausch ist in Gang gesetzt, und das wiegt enorm.

Vincent Burmeister, Illustration für den Ausstellungsraum „Touchdown – Die Landung“, 2016 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH