Nachbildung der Reichskrone, Gerdi Glanzner, 1994, Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber

Nachbildung der Reichskrone, Gerdi Glanzner, 1994, Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber

Was soll das auf dem Kopf?

Symbolkraft einer Krone

Jedes Kind weiß: Wer die Krone auf dem Kopf hat, der ist König. Heute tragen weder Bundeskanzler noch Staatsoberhäupter anderer Nationen Insignien wie Zepter oder Kopfschmuck, um ihre Funktion und ihren Status zu kennzeichnen.  Über Jahrtausende aber war die Krone das wichtigste und erkennbarste Zeichen weltlicher Herrschaft. Als Johann Wolfgang Goethe 1749 zur Welt kommt, existiert noch das „Heilige Römische Reich Deutscher Nation“, auch wenn seine Bedeutung als Dachverband über den zahlreichen deutschen Kleinstaaten zusehends schwindet. Im Jahr 1764 kann Goethe als 14-jähriger eine feierliche Krönungszeremonie in Frankfurt beobachten, als der spätere Kaiser Joseph II. ebendort zum König gekrönt wird.

Vom König zum Stellvertreter Christi

In seinem autobiografischen Buch Dichtung und Wahrheit beschreibt Goethe die Zeremonie als merkwürdig aus der Zeit gefallenes Ritual. Der feierliche Akt der Krönung, der rituelle Charakter der Gewandung und die Insignien als Symbole der Macht mussten dem jungen Dichter vorkommen wie Relikte aus einer längst vergangen Epoche. Die mittelalterliche Reichskrone strahlte eine enorme Wirkung und Symbolkraft aus. Aus purem Gold, mit vielfarbigen Edelsteinen besetzt, wird sie heute in der Schatzkammer der Wiener Hofburg aufbewahrt. Sie gehört zum geschützten Kulturgut und wird aus diesem Grund nicht verliehen. In der Ausstellung Goethe. Verwandlung der Welt zeigen wir eine Replik der Krone, die aus der Sammlung des Mittelalterlichen Kriminalmuseums in Rothenburg ob der Tauber stammt.

Es sind nicht allein das kostbare Material und die künstlerisch herausragende Handwerkstechnik der Krone aus Gold, Emaille, Edelsteinen und Perlen, die faszinieren. Viel höher ist ihre symbolische Bedeutung einzuschätzen, die sich vor allem in ihrer Form und Gestaltung und insbesondere in der Motivik der aufwendig gearbeiteten Emailleplatten offenbart. Ungewöhnlich ist zunächst schon die achteckige Form, die in der christlichen Zahlenmystik eine besondere Bedeutung hat: Symbol der Auferstehung, Zahl des Neuen Testaments, der acht christlichen Tugenden und der Wiedergeburt durch die Taufe. Viele Baptisterien haben deshalb einen achteckigen Grundriss. Besonders aussagekräftig sind aber die vier Bildplatten mit Darstellungen, die den Herrscher an seine Tugendhaftigkeit gemahnen sollen. Hier ist König David zu sehen, der für Gerechtigkeit steht, König Salomon für die Weisheit und Ezechias für die Gottesfurcht. Der  Platte über der rechten Schläfe des gekrönten Hauptes aber kommt die größte Bedeutung zu: Sie zeigt Jesus Christus, gerahmt von der Inschrift „ per me reges regnant“ (durch mich herrschen die Könige). Sie macht den Träger der Krone zum Stellvertreter Christi auf Erden und verpflichtet ihn gleichsam, in seinem Namen und seinem Geiste zu regieren.

Eine Krone, gefaltet in der Tasche

Ein praktisches Element der Krone verrät uns darüber hinaus etwas über den Charakter des deutschen Kaisertums im Mittelalter. Durch Scharniere und Stifte lässt sich die Reichskrone flach zusammenfalten und verstauen, etwa in einer Satteltasche. Das war besonders wichtig, da die Krone mit ihrem Herrscher beinahe pausenlos auf Reisen war. Da es weder eine Hauptstadt des Heiligen Römischen Reiches noch eine feste Residenz der deutschen Kaiser gab, war das Reisekönigtum im Mittelalter die gängige Herrschaftsform. Die Reisekönige wie auch der Reisekaiser zogen mit Familie und Hofstaat durch das Reich, sie residierten in ihren Pfalzen und führten von dort aus ihre Regierungsgeschäfte. So wie heute politische Ämter mit Reisen verbunden sind, war dies – allerdings in anderem Modus – auch im Mittelalter der Fall. Das Reiskönigtum ermöglichte dem Regenten einen Überblick über sein Herrschaftsgebiet. Vor allem aber diente es der Kontrolle über die lokalen Fürsten und der Repräsentation des eigenen Machtanspruchs vor den Vasallen, für die eben die Krone ein sichtbares Zeichen des König- oder Kaisertums war.


GOETHE
VERWANDLUNG DER WELT
bis 15. September 2019
in der Bundeskunsthalle

Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
Die Stirnplatte ist mit 12 großen Edelsteinen besetzt. In der christlichen Symbolik steht die Zahl 12 unter anderem für die Apostel, die Stämme Israel, die Propheten und Jesu Jünger, aber auch für das Universum und das Vollkommene.
Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
Salomon ist der weise König des Alten Testamentes und Sinnbild des friedliebenden Herrschers. Der Vers auf der Salomon-Platte lautet: TIME DOMINVM ET RECEDE A MALO (Fürchte Gott und meide das Böse).
Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
Im Mittelalter gilt die äußere Erscheinung eines Gegenstandes auch als Symbolträger seiner inneren Eigenschaften. Die zahlreichen Edelsteine deuten auf die edle Tugendhaftigkeit ihres Trägers. hin.
Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
Die Majestas-Domini- Platte trägt die Inschrift PER ME REGES REGNAT (Durch mich herrschen die Könige). Es erinnert den Herrscher daran, dass er lediglich Stellvertreter Christi auf Erden sei.
  1. Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
  2. Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
  3. Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
  4. Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber
  5. Gerdi Glazner, Nachbildung der Reichskrone, 1994 © Mittelalterliches Kriminalmuseum, Rothenburg ob der Tauber

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