James Clerk Maxwell & Thomas Sutton: National Science & Media Museum

James Clerk Maxwell & Thomas Sutton: National Science & Media Museum / Science & Society Picture Library

Wie die Farbe in die Fotografie kam

Ein Essay von Peter Geimer

Als der schottische Physiker James Clerk Maxwell am 17. März 1861 in der Londoner Royal Institution während seines Vortrags über die Grundfarben ein farbiges Bild an die Wand des Auditoriums projizierte, hätte ohne seine Erläuterungen vermutlich niemand der Anwesenden zu sagen gewusst, was dort zu erkennen war – ein diamantener Hasenkopf? Ein mikroskopisch vergrößertes Atom? Ein Kristallglas, in dem sich Lichtstrahlen farbig brechen? Nichts von alledem: Die Aufnahme zeigte eine Schleife aus kariertem, schottischen Stoff. Der Fotograf Thomas Hutton hatte das Objekt dreimal im üblichen Schwarz-Weiß-Verfahren – aber durch einen roten, einen grünen und einen blauen Filter hindurch – aufgenommen. Während Maxwells Vortrag wurden die Glasnegative erneut durch drei farbige Filter hindurch projiziert, und an der Wand zu einem einzigen farbigen Bild verschmolzen. Maxwell interessierte das dabei entstandene Mischbild vor allem als Illustration seiner Überlegungen zu den Eigenschaften des Lichts und den physiologischen Ursachen des Farbensehens. Dass er mit seinem Experiment gleichzeitig zu einem der Erfinder der Farbfotografie geworden war, konnte er im März 1861 ebenso wenig wissen wie seine gelehrten Fachkollegen im Publikum. Im historischen Rückblick geben sich technische Erfindungen oftmals als wohl geplante Hervorbringungen einzelner Genies zu erkennen. Tatsächlich bedarf es einer Vielzahl unspektakulärer Einzelbeobachtungen, Umwege, Fehlschläge und Zufälle, bis eine Technik zu ihrer späteren Perfektion gelangt. Das Bild vom März 1861 war nur eine, wenn auch wichtige Etappe in der Entwicklungsgeschichte der Farbfotografie – die erste Demonstration des Prinzips der additiven Farbmischung.

Noch ein weiterer Umstand macht deutlich, auf welch verschlungenen Wegen das Fotografieren in Farbe zustande kam. Das zur Ikone gewordene Foto, das heute gern als „die erste Farbfotografie“ präsentiert wird, ist tatsächlich nicht das Originalbild, sondern eine Rekonstruktion aus den 1930er-Jahren. Maxwell selbst hatte 1861 noch keine Möglichkeit, das farbige Bild an der Wand fotochemisch zu fixieren: Am Ende seines Vortrags war die flüchtige Erscheinung ebenso rasch wieder verschwunden wie sie vor den Augen des Publikums aufgetaucht war.

Bis das Farbfoto sich neben dem traditionellen Schwarz-Weiß durchgesetzt hatte, dauerte es noch über ein halbes Jahrhundert. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir heute in Ausstellungen und Museen, in Zeitschriften, auf Bildschirmen und in der Werbung Farbfotos betrachten, sollte nicht vergessen lassen, dass es zuvor ein ganzes Jahrhundert der Fotografie in Schwarz-Weiß gegeben hat – ohne dass jemand die Farbe vermisst hätte (ebenso wenig wie die Generationen vor uns es als Defizit empfunden haben, kein Mobiltelefon, kein Internet oder keine bargeldlosen Zahlungsmittel zu besitzen: Was man [noch] nicht kennt, kann man auch nicht vermissen).

In der bildenden Kunst begegnete man der Farbe zunächst sogar mit Misstrauen: Kunstbuchverlage druckten die Meisterwerke der Kunstgeschichte eine Zeitlang weiterhin in Schwarz-Weiß, weil die farbige Reproduktion bei Experten als unseriös galt. Namhafte Fotografen wie Walker Evans fanden Farbfotos „vulgär“, und noch William Eggleston sah seine Werke 1976 Vergleichen mit Produkten der Konsumkultur ausgesetzt, als er im renommierten Museum of Modern in New York seine Farbfotos präsentierte. Heute sind diese Kulturkämpfe um die Farbe vergessen. Maxwells Experiment bleibt als Episode aus der Frühzeit der Farbfotografie in Erinnerung – einer Zeit, in der um das Erscheinen der Farbe zunächst gerungen, dann aber auch rasch gestritten wurde.

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Autor: Peter Geimer
Zur Person: Peter Geimer ist Professor für Neuere und Neueste Kunst-geschichte an der Freien Universität Berlin. Im Oktober2022 übernimmt er die Leitung des Deutschen Forums fürKunstgeschichte in Paris.

Der Text stammt aus dem Ausstellungskatalog zur Ausstellung „Farbe ist Programm“.