Anna Uddenberg, Psychotropic Lounge (I), 2019, Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin

Power Play

Anna Uddenbergs vulgäre Schau von Macht

Die resortähnliche Atmosphäre von Anna Uddenbergs Ausstellung in der Bundeskunsthalle lässt einladende Bilder eines Yachthafens oder eines Club Med-Urlaubs aufkommen. Ein abgelegener Ort der Genesung oder, wie die Musikgruppe M People sagen würde, „Elegant Slumming“ (sich elegant unters gemeine Volk mischen) – der Ferienort ist gleichzeitig entspannend und doch unheimlich; die kognitive Dissonanz von erzwungenem Genuss oder Entspannung gemäß der strukturierten, totalen Erfahrung von Ikea oder Disneyland, wo die Ideologie ihre Präsenz bekannt macht, aber unausgesprochen.

Das Motto?
Genießen Sie es!
SONST GIBT’S ÄRGER.

Der Erfahrende stoßabsorbiert den zugrundeliegenden desorientierenden Moment, bevor er den sozialen Verhaltenskodex dieser Ökologie feststellen kann. Man schlägt mit den Armen im intelligenten Badezimmer wie ein verärgertes Huhn, das gerade erkannt hat, dass es nicht fliegen kann. Alexa sagt nein, ergibt keinen Sinn, automatische Sperre.

Nicht weitermachen, gehen Sie nicht über Los.

Beim Navigieren durch die Sauna ist der Dampf ein wenig zu heiß, das Wasser im Whirlpool hat zu einer leichten Verbrühung der frisch exfolierten Haut geführt. Eine ASMR-Stressabbau-App konnte nicht heruntergeladen werden, da das W-LAN gerade ausgefallen ist. Aber andererseits haben Sie für diese Erfahrung bezahlt; sich zu beschweren könnte den Finanzbetrag, den Sie für diesen Rückzugsort ausgegeben haben, zunichtemachen. Dürfen Sie die Frage überhaupt stellen? Oder einfach die Position einnehmen, die für Sie als geeignet erachtet wurde.

Am Eingang zur Ausstellung wird eine Bar aus transparentem Glas umgebaut – mit Barhockern, auf einem von denen eine völlig verdrehte Schaufensterpuppe sitzt. Der Gast wird an den Tisch gebeten und eingeladen, sich selbst in Relation zu dem neben ihm sitzenden künstlichen Körper zu betrachten. Wie ein Problemtrinker im Speisewagen eines ICE-Zuges, wer wird ihm sagen, dass er zu sich kommen soll? Oder ist er wirklich da? Ist er ein Objekt Ihrer Begierde? Haben Sie zu viel getrunken? Sollten Sie Ihren Mantel holen? Warten Sie! Sie sind gerade erst angekommen!

Ein Fenster, das die Wand öffnet, fungiert als eine Art Aussichtslounge mit Blick auf die Party. Aber wer schaut da raus? Wer schaut da rein? Das VIP-ähnliche Partyzelt und das Glas bieten Transparenz auf eine geschlossene Gesellschaft; aber wem wird Zutritt gewährt? Ist der Akt der sichtbaren Muße auch ein Akt der Etikettenkontrolle über diese offene Überwachung?

FOCUS (keep calm) [FOKUSSIEREN (Ruhe bewahren), 2018] erinnert an die beunruhigenden Dystopien, die in den Romanen von J. G. Ballard unter aufstrebenden Gemeinschaften lauern. In Crash und Super-Cannes brechen High-Societies zusammen und entwickeln sich angesichts der ödipalen Moderne zurück in eine Urtransgression. In Uddenbergs Skulptur hat eine posthumane weibliche Figur ihren Körper mit verschiedenen Wearables terraformiert und eine völlig verdrehte Position eingenommen, indem sie in einer Babyschale wie in einem mittelalterlichen Folterinstrument sitzt, und scheint ihre eigenen Genitalien und Gesäß zu inspizieren.

Herausforderung der Komfortzone

Die ausgestellten Arbeiten sind charakteristisch für die aktuellen Skulpturen, die die Künstlerin seit 2014 herstellt. Skulpturale Assemblagen von für menschliche Interaktion geeigneten Konsumtechnologien – wie z.B. Autoteile, Fahnenmasten, Handgriffe und Getränkehalter – laden die Körperform ein, eine bestimmte Position einzunehmen. Falls sie dies wünscht. Diese Position kann Unterwerfung signalisieren oder auch ein Gefühl von Sicherheit geben. Die visuellen Hinweise beziehen sich auf Umgebungen wie Autos oder Flughäfen – ökologische Systeme, die erfordern, dass der Körper/die Person angesichts der sehr realen Möglichkeit einer lebensbedrohlichen Situation von seiner/ihrer Sicherheit überzeugt ist. Auf dem Flughafen befinden sich Wellnessbereiche bzw. Orte, die ein Gefühl der Ruhe oder Beruhigung vermitteln, wie z.B. öffentliche Yogamassagen. Dieses unübersehbare Zurschaustellung ist selbst stressig. Soll ich mich auch massieren lassen? Wie sehe ich aus? Darf ich mich wirklich in der Öffentlichkeit entspannen? Genieße ich es tatsächlich, oder tue ich nur so? Diese sozial kodierten Umgebungen sind Momente, in denen die „Komfortzone“ herausgefordert wird.


Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung Power Play. Anna Uddenberg.
Die Schau ist vom 5. April bis 22. September 2019 in der Bundeskunsthalle zu sehen.

Anna Uddenberg, Cuddle Clamp, 2017, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland - Sammlung Zeitgenössische Kunst © Photo: Andrea Rossetti
Anna Uddenberg, Cuddle Clamp, 2017, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland - Sammlung Zeitgenössische Kunst © Photo: Andrea Rossetti
Anna Uddenberg, Spoiled, 2019, Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski
Anna Uddenberg, Spoiled, 2019, Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski
Anna Uddenberg, Focus (keep calm), 2018, Courtesy the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski
Anna Uddenberg, Focus (keep calm), 2018, Courtesy the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski
  1. Anna Uddenberg, Psychotropic Lounge (I), 2019, Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin
  2. Anna Uddenberg, Cuddle Clamp, 2017, Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland - Sammlung Zeitgenössische Kunst © Photo: Andrea Rossetti
  3. Anna Uddenberg, Spoiled, 2019, Courtesy the artist and Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski
  4. Anna Uddenberg, Focus (keep calm), 2018, Courtesy the artist; Kraupa-Tuskany Zeidler, Berlin © Photo: Gunter Lepkowski

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