Trotz neuer Missbrauchsvorwürfe wird die lange geplante Michael-Jackson-Ausstellung in Bonn gezeigt. Die Bundeskunsthalle sucht die Diskussion mit dem Publikum. Intendant Rein Wolfs beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum zeigt die Bundeskunsthalle eine Ausstellung über Michael Jackson?
Michael Jackson ist die Ikone der Popmusik der letzten 50 Jahre. Es gibt wenige Musiker, die so einen Status erreicht haben. Diese enorme Wirkung zeigt sich auch in der bildenden Kunst, die auf ihn reflektiert, und diesen kulturellen Einfluss wollen wir zeigen. Michael Jackson: On The Wall ist eine Kunstausstellung. Es geht hier weder um die Biografie noch direkt um das Werk von Michael Jackson, sondern um den Widerhall des „Phänomens Jackson“ in der zeitgenössischen bildenden Kunst.
Derzeit werden die Missbrauchsvorwürfe gegen Michael Jackson neu diskutiert. Wie haben Sie die Entscheidung getroffen, diese Ausstellung dennoch zu präsentieren?
Mit der Konzeption der Ausstellung wurde vor über drei Jahren in der National Portrait Gallery begonnen. Das Erscheinen des Dokumentarfilms Leaving Neverland, der die neu entflammten Vorwürfe aktuell in die mediale Öffentlichkeit transportiert hat, war zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen.
Die Vorwürfe sind schockierend und wir nehmen sie sehr ernst. Sie werfen ein anderes Licht auf die Person, mit der sich die ausgestellte Kunst beschäftigt. Bislang haben wir es aber mit Vorwürfen zu tun. Die letzte juristische Entscheidung liegt weit zurück, damals wurde Jackson entlastet. Die Thematik ist aber wichtig und hat eine große emotionale Wirkung. Wir sind uns dessen bewusst und werden das Thema auch nicht ausklammern. Im Gegenteil, sehen wir uns als Institution doch in der Verantwortung, Aufmerksamkeit zu schaffen und den Diskurs anzuregen.
Im Vordergrund steht, dass Michael Jackson: On the Wall eine Kunstausstellung ist, die zu zeigen und zu präsentieren wir für relevant halten. Wir gehen auf Distanz zur Person Michael Jackson, wollen aber keinesfalls so tun, als habe es die Kunstwerke, die in den letzten 35 Jahren zu Michael Jackson entstanden sind, nie gegeben. Das wäre die falsche Entscheidung.
Wir sehen uns als Institution in der Verantwortung, Aufmerksamkeit zu schaffen und den Diskurs anzuregen.
Kann man den Künstler und seine Kunst überhaupt voneinander trennen? Gerade Jackson gilt als Gesamtkunstwerk.
In der Geschichte gibt es viele Künstler mit einem Hang zum Gesamtkunstwerk und zugleich mit ambivalenten Lebensläufen – was erst einmal grundsätzlich nichts entschärft. Wir müssen uns jedoch fragen, wie wir damit umgehen wollen. Müssen wir solche Aspekte aus der Geschichte ausradieren, oder müssen wir über sie reden? Ich denke, man muss solche Aspekte verhandeln. Mir ist klar, dass man Autor und Werk nicht vollständig voneinander trennen kann, aber man muss das Phänomen letztendlich in einer Gesamtsicht betrachten. Bei Michael Jackson: On The Wall haben wir es mit einer Ausstellung zu tun, die die Werke anderer Künstler zeigt, die Jackson reflektieren.
Muss sich die Rezeption der Kunstwerke durch die erneuten Vorwürfe ändern?
Wenn man über die Person Jackson reflektiert, liest man den Kontext zwangsläufig mit. Das wirkt sich natürlich auch auf die Interpretation der Werke aus, die sich mit ihm auseinandersetzen. Es gibt durchaus eine ironische und mitunter durchaus kritische Positionierung von Seiten der Künstler.
Die Arbeit von Paul McCarthy beispielsweise, die wir zusätzlich in der Ausstellung zeigen und die vorher weder in der Londoner noch in der Pariser Station zu sehen war, bezieht sich auf eine Skulptur von Jeff Koons. Sie zeigt Jackson mit dem Affen „Bubbles“, bekannt geworden aus einem Pressebild mit Jackson, das um die ganze Welt ging. Schon diese Arbeit, in typischer Manier von Jeff Koons, formuliert einen übertriebenen Darstellungsmodus. Paul McCarthy wiederum arbeitet mit einer starken Verzerrung der Proportionen – ein Verweis darauf, welche bizarren Formen jene Überhöhungen annehmen können. Hier wie im gesamten Kontext von McCarthys Werk spielen seelische und moralische Abgründe eine zentrale Rolle.
Einige Arbeiten weisen eine große Doppelbödigkeit auf, die aktueller nicht sein könnte.
Jordon Wolfsons Arbeit Neverland nimmt tatsächlich direkten Bezug auf die angesprochenen Vorwürfe. Das Video zeigt die Augen des Popstars, isoliert vom restlichen Teil seines Gesichtes – Blickbewegungen und Blinzeln werden somit zum bestimmenden Inhalt. Für die Arbeit verwendete Wolfson das Filmmaterial einer Sendung, die Jackson 1993 auf der Neverland-Ranch gemacht hatte und in der er die Anschuldigungen der sexuellen Belästigung von Kindern zurückwies. Wir hören nur fließendes Wasser, nicht Jacksons Worte.
Viele Arbeiten setzen sich aber generell mit der übersteigerten Selbstinszenierung und Stilisierung Jacksons auseinander. So sieht zum Beispiel Kehinde Wileys Porträt zunächst aus wie eine wahnsinnige Überhöhung der Figur Michael Jackson, aber auf der anderen Seite ist es eine Stilfigur der Übertreibung, die ironische oder gar lächerliche Züge hat und natürlich auch kunsthistorische Bezüge zu Herrscherporträts aufweist. Darin spiegelt sich die ungeheure Selbststilisierung, die bei Jackson stattgefunden hat.
Wird sich die Ausstellung inhaltlich von den Stationen in London und Paris unterscheiden?
Wir werden keine Änderung an den Exponaten vornehmen, aber einige Werke präsentieren, die in London und Paris nicht zu sehen waren. Einige Arbeiten weisen eine große Doppelbödigkeit auf, die aktueller nicht sein könnte. Wir können die Ausstellung als solche aber nicht komplett ändern. Es geht nun einmal um Jacksons Niederschlag in der Kunst.
Wie werden die Vorwürfe über die Kunst hinaus in der Bundeskunsthalle verhandelt?
Wir erarbeiten ein Programm, das Raum und Gelegenheit für Diskussion und Austausch mit Besucherinnen und Besuchern bietet. Es wird Podiumsdiskussionen geben und Ansprechpartnerinnen und -partner direkt in der Ausstellung, die das Gespräch mit den Besuchern suchen.
