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The Blind Leader

Rachel Monosov spricht über ihr Kunstwerk

Rachel Monosov hat mit The Blind Leader eine Installation entworfen, die sich mit den Mechanismen gesellschaftlicher und politischer Kontrolle auseinandersetzt. Wie verschaffen sich Autoritäten Macht über Menschen? „Wenn jemand dich auffordert, gemeinsam auf dem Boden zu sitzen, ist das eine Sache. Wenn dich aber jemand auffordert, dich auf den Boden zu setzen, während der andere über dir steht, ist das eine andere Sache.“ Dieser Satz, der Teil der Installation ist, beschreibt einen Machtmechanismus, der sich an der Grenze zur Gewalt bewegt. Die Realität staatlicher Autorität zeichnet sich nicht selten durch Strategien aus, die auf Einschüchterung und Abschreckung abzielen. Welche Auswirkungen dies langfristig auf eine Gesellschaft hat, ist eine der Fragen, die Rachel Monosov aufwirft.

The Space In Between

The Blind Leader ist aus vier Szenen zusammengesetzt, zu denen jeweils eine räumliche Installation, eine Performance und eine Bild-Text-Kombination gehören. The Space In Between besteht aus zwei an der Wand befestigten Kakteen, die nur ein schmaler Zwischenraum trennt. Um sich nicht an den Dornen der Kakteen zu verletzen, ist ein anstrengender und gefährlicher Balance-Akt notwendig. Jede falsche Bewegung kann körperlich und seelisch schmerzhafte Folgen haben.

Waiting Room

Die zweite Installation trägt den Titel Waiting Room: Ein feines, biegsames Drahtgitter definiert einen engen Raum, in den sich zwei Performer gemeinsam zwängen. Der Wirkmacht von Markierungen, auch wenn sie keine reale Begrenzung darstellen, begegnen wir in unterschiedlichen Kontexten, häufig aber in Wartezonen. Sie funktionieren als unsichtbare, aber mental höchst wirksame Barrieren, gesichert durch das Regelwerk des gesellschaftlichen Konsenses. Rachel Monosov spielt hier darauf an, dass für viele Menschen in Krisensituationen das Warten zu einem existenziellen Zustand geworden ist, der das Verharren in einem eng begrenzten, streng reglementierten Raum erzwingt.

Finger Print

Ein weiteres Szenario entwirft die Künstlerin mit Finger Print. Die Installation besteht aus einer Wandkonstruktion, an der schmale Messingschlaufen befestigt sind, durch die ein Performer seinen Kopf und ein Bein steckt, während ein anderer Performer auf der Rückseite der Wand dessen Fingerabdrücke abnimmt. Hier wird auf das latente Gefühl der Kriminalisierung angespielt, das sich bei der Abnahme eines Fingerabdrucks einstellt. Ursprünglich zur Ermittlung und Identifikation von Straftätern entwickelt, wird der Fingerabdruck heute vielfach auch in anderen Zusammenhängen abgenommen, etwa als obligatorische Prozedur bei der Einreise in bestimmte Staaten.

Forced

Die vierte Szene, Forced, besteht aus einer Vorrichtung an der Wand, die dem Performer eine bestimmte Körperhaltung vorgibt. Das Metallgestänge erfordert eine starre, unbequeme Position, die Anspannung und Selbstkontrolle verlangt. Bewegung ist gar nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Es geht auch hier um die individuelle Freiheit und die Frage, wer sie genießen darf und wem sie verweigert wird. Bei der Verteilung freiheitlicher Rechte herrscht keineswegs globale Gleichheit, und das Streben danach ist von wenig Brüderlichkeit gekennzeichnet. Nicht zuletzt sind es unsere Herkunft und unsere Staatsangehörigkeit, die in hohem Maße über den Grad der individuellen Freiheit entscheiden, den wir in Anspruch nehmen dürfen.

Ein zu hoher Preis?

Vor dem Hintergrund der globalen Situation, die von politischen Konflikten, humanitären Krisen und daraus resultierender Migration geprägt ist, erweist sich die Belastbarkeit unserer freiheitlichen und humanitären Werte als fragil. Finden verschiedene Formen von Gewalt und scharfe Restriktionen zu schnell gesellschaftliche Akzeptanz? Ist der Preis, den wir für ein (vermeintliches) Sicherheitsgefühl zahlen, nicht zu hoch, wenn grundlegende Rechte verletzt oder eingeschränkt werden? Rachel Monosov richtet diese Fragen an uns, indem sie konkrete Situationen entwirft, in die wir uns – teils gedanklich, teils körperlich – hineinversetzen können. Mit dem Titel The Blind Leader verweist sie auf die Unzulänglichkeit eines autoritären Machtapparates, der blind ist für das Individuum, und auf die Gefahren einer Gesellschaft, die dessen Regeln blind folgt und Unrecht widerstandlos hinnimmt. Abgesegnet von religiösen, politischen oder ideologischen Instanzen, werden gesellschaftliche Regeln und Konventionen teils über Generationen weitergegeben, ohne sie in Frage zu stellen. Anstelle eines neu erwachenden gesellschaftlichen Konsenses erleben wir vielfach die Konsolidierung autoritärer Strukturen und Mechanismen.