Foto zeigt eine Zeichnung der Oper Wien.

Ladislaus Eugen Petrovits Wien, Oper (Blick vom Zuschauerraum auf die Bühne mit Aufführung des „Don Juan”) 1869

Einblicke in das Spannungsfeld von Oper und Bühnentechnik (2)

Interviews HAW Hamburg

von Wolfgang Willaschek

Und nun das zweite Leben
Mein zweites berufliches Leben… Es ist vielleicht ein kleines Wagnis, aber wenn es schon um Oper und/oder/plus Technik geht, ist es für diesen Essay reizvoll, die Erfahrung als Leiter eines Produktionslabors an einer Fachhochschule mit dem Phänomen Oper und Technik zusammenzubringen. Im Folgenden wird auf Interviews hingewiesen, die vor allem Gespräche sind über Ausbildung, Vorbereitung, neue Erfahrungen und Techniken, Jung und Alt, Theorie und Praxis. Und über das vermeintlich schwer zusammen zu Bringende, das doch zusammengehört: Neues Gewagtes mit bewährt Vorhandenem. Von den drei Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen aus dem Bereich der HAW Hamburg haben zwei unmittelbare Erfahrungen mit der Bühnentechnik der Oper sammeln können, vor allem mit der Frage, wie es gelingt, neueste Errungenschaften in etablierten Apparaten und Hierarchien zu verankern. Und ein dritter entwirft für ein Hochschulprojekt ein ungewöhnliches dramaturgisch-technisches Konzept, das durchaus auch operntauglich wäre. Daher viel Freude mit den ausführlichen Beiträgen, die sie jeweils nach der folgenden Kurzeinführung zu den Personen und deren Arbeiten abrufen können.

Lukas Mattern – Wie kommt man als junger Techniker zur Oper?
Lukas Mattern absolviert seine Ausbildung zum Veranstaltungstechniker am Schauspiel Frankfurt am Main, bevor er das Studium der Medientechnik an der HAW beginnt. Eher zufällig gerät er über ein Projekt des Lichtlabors der Medientechnik, bei dem ein Unternehmen zur Lampenherstellung Geräte zur Verfügung stellt, an den dazu eingeladenen Licht-Experten Carsten Sander. Dieser bietet ihm für den Spätsommer 2021 eine Mitarbeit bei dessen Light-Design für eine Inszenierung von Il barbiere di Siviglia an der Wiener Staatsoper an. Wichtig sei gewesen, unterstreicht er, von Anfang an in alle Gespräche des Teams unter Leitung des Regisseurs Herbert Fritsch einbezogen gewesen zu sein. Das Bühnenbild soll den Humor des Stückes abstrakt unterstützen. Ausgangspunkt ist eine leere Bühne ohne große Kulissen, umrandet von einer weißen Opera-Folie. Hauptelemente sind etwa vierzig bunte Folien, die wie gassenartige gestaltete Wände von der Decke hängen und in Höhe wie Breite fahrbar sind. Die Folien-Licht-Räume sollen während der gesamten Oper in Bewegung sein und bleiben, als spiegele die Technik die Musik wider. Als er nach Wien kommt, nimmt er da wahr, aus einem anderen technischen Hintergrund zu kommen? „Ja, im Hochschulbereich ist es eher erwünscht, sich durchgehend neuen technischen Problemen zu stellen und diese zu lösen.“ Es sei in der Lichtabteilung der Wiener Staatsoper rasch klar geworden, dass für das ambitionierte Lichtkonzept kaum Bühnenproben zur Verfügung standen. Daher habe man eine in vielen Bereichen bereits erprobte, für die Oper aber dann doch noch recht neue technische Methode genutzt, sogenannte „Vorprogrammier-Tools“. Vorab exakt festgelegte Lichtstimmungen müssen auf der Bühne, zeitsparend und effektiv, lediglich angepasst werden. Sein Fazit: Sein Studium sei filmorientiert mit dem Vorteil, Szenen und Konzepte in mehreren Einstellungen korrigieren zu können. Aber einmal alles „aus einem Rutsch heraus machen zu müssen“, wie jetzt an der Oper, sei ein unschätzbarer Zugewinn.

Johannes Schmidt – Technik als Vehikel für neue Spielformen im Zeichen der Immersion
Er beginnt 2014 an der HAW seinen Bachelor Medientechnik und wechselt nach erfolgreichem Abschluss in den Masterstudiengang „Zeitabhängige Medien – Sound-Vision-Games“ mit Schwerpunkt Bild und Ton. Dabei entsteht früh die Idee, als Teil seiner Maserthesis „ein Theater ohne Bühne“ gleichzeitig an zwei miteinander interagierenden Orten spielen zu lassen, an denen sich das Publikum aktiv am Spiel beteiligt: „Wenn Tontauben schießen“ (ein Banküberfall und die dadurch hervorgerufenen Konflikte auf einer Polizeidienststelle). Es beruht auf der Ursprungsidee, innovative Technologien für Videoübertragungen anzuwenden, um ein neues Format zu schaffen – im Stil einer Immersion, wörtlich verstanden: „ein Eintauchen“. Das Publikum kann an beiden Orten über eine Web-Applikation bei inhaltlichen Schlüsselstellen mit einem zuvor gescannten QR-Code Entscheidungen treffen und per Handy über den Verlauf des Spiels abstimmen. Es zwingt die Darstellerin oder den Darsteller gleich einem Komponisten, eine bestimmte Richtung zu wählen – ein Hochschulexperiment mit möglichen Auswirkungen auf die Theaterpraxis. Technik wird fast zu einem direkten Akteur.

Christina Becker – „Es lebe die Oper“ mit technischen Innovationen
„Hallo, ich bin Christina Becker und Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Dramaturgie und dem Produktionslabor der Medientechnik an der HAW Hamburg“. Über die Videomitwirkung an einem experimentellen Stück in der Opera stabile der Hamburgischen Staatsoper bekommt sie erstmals Kontakt zur Gattung Oper. Sie korrigiert sich: „zum Musiktheater“. 2014 verantwortet sie an der Oper Frankfurt die Videogestaltung für die Uraufführung von Rolf Riehms Sirenen – Bilder des Begehrens und des Vernichtens, inszeniert von Tobias Heyder. Daraus ergeben sich zwei weitere Video-Arbeiten in Frankfurt: 2016 Das Schlaue Füchslein von Leoš Janáček mit Ute Engelhardt als Regisseurin und 2018 Tri Sestry (Drei Schwestern) von Peter Eötvös in der Inszenierung von Dorothea Kirschbaum. Das Sinnvollste, hebt sie hervor, sei stets die Einbindung der Videogestaltung in die Konzeption, das aktive Mitdenken von Technik, sonst sei man allzu leicht lediglich Dienstleistende. Wie werden Sängerinnen und Sänger via Video plötzlich zu Darstellern im Film? Für Rolf Riehms Oper kommt Lawrence Zazzo alias Odysseus 2014 ins Produktionslabor der Medientechnik nach Hamburg, wo eigens ein Greenscreen aufgebaut ist, eines der Standardelemente zum technischen Spiel mit der Illusion. Ein Hintergrund lässt sich in beliebig viele Orte verwandeln, während der Protagonist davor im Raum verbleibt. Das sei eine Herausforderung gewesen, da der Sänger sich das Bild nur vorstellen kann und bei der Aufnahme die zuweilen großen Gesten in der Oper vergessen muss. Es entsteht schon ein kleiner Kampf, wann für das Video etwas auf der Bühne geprobt werden kann mit dem bestmöglichen Gerät und einer optimalen Leuchtkraft. Obwohl sich gerade auf diesem Gebiet in den letzten Jahren viel zum Positiven verändert hat. Sie ist sich sicher, dass das für die Oper ausschlaggebende Humane und Emotionale mit VR, AR, 360 Grad Projektionen und den neuen Techniken gut zusammengeht, um Zuschauerinnen und Zuschauern ein anderes Erlebnis, eine neue Erfahrung in audiovisueller „Real Time“ zu bescheren. „Aber da muss auch die Technik stets mit.“ Etwa mit Unreal Engine, eigentlich ein Zauberinstrument aus der Game-Branche, ein Instrumentarium, um ganze Welten zu erschaffen. Nur, was tat und tut Oper stets anderes?

Quo vadis, Technik?
Am weitesten kommt man vielleicht, wenn man alles vom Kopf auf die Füße stellt, in der Oper ohnehin. Also: eine Technik-Oper. Es wird berichtet, dass der für Google tätige Software-Ingenieur Black Lemoine seine Stelle verloren hat, weil er mehrfach und mit detaillierten Argumenten behauptet hatte, die Hauseigene Chatbot-Software „Lamda“ sei empfindungsfähig. Vom Unternehmen verlangt er, man solle Lamda gefälligst wie eine vollwertige Mitarbeiterin behandeln. (Ulf von Rauchhaupt, „Res cognitans, FAZ, Nr. 137, Seite 9, Mittwoch, 15. Juni 2022). Wäre das nicht der ideale Opernstoff über KI = Künstliche Intelligenz, die dann auch den Einsatz einer solchen bedingt? Sie sagen darauf, dies alles gibt es schon längst? Etwa in Hoffmanns Erzählungen, der Phantastischen Oper von Jacques Offenbach aus dem Jahr 1881? (Kommentar von Ulf von Rauchhaupt zu Lamda)

Epilog
„Ich lege großen Wert auf die Szene, in welcher der Doge Pietro die Balkone zu öffnen befiehlt; da muss man eine reiche, große Beleuchtung sehen, die weiten Raum einnimmt, damit man die Lichter gut sehen kann, die allmählich eins nach dem anderen ausgehen, bis zum Tode des Dogen alles in tiefem Dunkel ist. Das ist, glaube ich, ein sehr wirkungsvoller Moment, und es wäre ein Jammer, wenn das Bühnenbild nicht gut gemacht wäre. Der erste Prospekt braucht nicht sehr weit entfernt zu hängen, aber der zweite, der Prospekt mit der festlichen Beleuchtung, muss sehr weit hinten hängen. (Giuseppe Verdi, Über Bühnenbild und Bühnentechnik zu Simon Boccanegra, an Francesco Maria Piave, Anfang Februar 1857)