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„Der Austausch ist alles, was zählt.“

Lyn Bentschik spricht über ihre Re-Performance in der Abramović-Ausstellung

Zum ersten Mal wurde die legendäre Performance „House with the Ocean View“ von Marina Abramović nach 2002 wieder aufgeführt. Wie im Original zog die Performerin Lyn Bentschik für 12 Tage und 12 Nächte in die dafür vorgesehenen Räume in der Marina-Abramović-Ausstellung der Bundeskunsthalle ein. Drei schwebende, miteinander verbundene Räume waren nun ihr Zuhause. Man konnte ihr bei ihrer täglichen Routine zusehen, die sie schweigend und fastend vollzog, vom Schlafen und Duschen bis zur Benutzung der Toilette. Das Einzige was sie von den Besuchern trennte, waren drei Leitern, deren Sprossen aus Tranchiermessern mit nach oben weisenden Klingen bestanden.
Wie geht es Lyn Bentschik wenige Tage nach Ende ihrer gefeierten Re-Performance? Wie hat sie die Zeit erlebt? Was war die größte Herausforderung? Wir haben mit ihr gesprochen.

Welche Erwartungen hattest du im Vorfeld?

Ich hatte mir das eigentlich ziemlich genau so vorgestellt, wie es dann schlussendlich auch war. Ich habe mir vorgestellt, dass ich da oben wohne und in tiefen Kontakt trete mit ganz vielen tollen Leuten. Genau so war es dann auch. (lacht)

Deine Erwartungen wurden also erfüllt? Wie hast du diese zwölf Tage erlebt?

Die Performance war noch schöner als ich mir das vorgestellt habe. Ich war glücklicher und bin in meinem eigenen Prozess weiter gekommen als ich dachte. Das heißt, dass ich für mich persönlich Sachen durchbrochen habe, an denen ich mein Leben lang schon rum kaue, und mit denen ich auf eine sehr effiziente Weise wirklich abgeschlossen habe. Das merke ich jetzt, wo ich wieder im normalen Leben angekommen bin. Das hätte ich nicht gedacht, dass ich so viel schaffe in der kurzen Zeit.

Eine so lange Performance ist natürlich kräftezehrend. Gab es dennoch Dinge, die dir leicht gefallen sind?

Es fiel mir besonders leicht, mich einfach an Begegnungen zu erfreuen. Einfach glücklich darüber zu sein, dass wir beide hier sind und Zeit miteinander verbringen. Das ist irgendwie alles, was zählt. Der Energieaustausch zwischen mir und anderen Lebenden. Ich glaube, es könnte auch ein Tier sein, oder ein Baum. Wichtig ist nur, dass ein Austausch da ist, eine Verbindung. Das ist es, das macht mich glücklich. Und es war schön, das den ganzen Tag zu tun.

Was fiel dir dagegen eher schwer?

Vor allem am Anfang, als ich noch mehr Energie hatte, fiel es mir schwer, einen Austausch abzubrechen, weil ich zum Beispiel pinkeln musste, einfach keine Lust mehr hatte, oder lieber wen anders angucken wollte. Das ist mir am Anfang schwer gefallen, fiel mit der Zeit aber immer leichter, weil ich einfach die Energie nicht mehr hatte – durch das Fasten, durch das lange da sein und den psychischen Prozess. Auch Gedanken sind anstrengend und verbraten Energie, und irgendwann hat man davon weniger und dann macht man sich auch weniger Gedanken darüber. Dann macht man einfach nur noch, oder ich habe dann einfach nur noch gemacht.
Es fiel mir zunächst auch schwer, mehr in Bewegung zu kommen. Ich bin ich ein starker Bewegungsmensch. mein Körper wurde immer expressiver, aber ich musste die Zügel erst einmal loslassen. Als ich das hinter mir hatte, gab es kein Halten mehr.

Worin liegt der Reiz der stillen Kommunikation? Ein „Gespräch“ ohne Worte hat doch sicher eine ganz eigene Qualität?

Auf jeden Fall ist es eine eigene, eine andere Qualität, weil beide Partner einer extremen Sicherheit beraubt werden, nämlich der Sprache und des sozialen Relativierens über Gesprächsfloskeln: Na, wie geht’s? Wie ist das Wetter? All das fällt weg und man ist einfach da und sieht, wie es dem anderen wirklich geht, und man zeigt sich auch, wie es einem wirklich geht. Das braucht ganz schön viel Mut, sich dem auszusetzen, und es ist eine sehr direkte Art der Kommunikation, eine sehr ehrliche, eine sehr konfrontative. Und das ist es, was ich total gerne mag.

„Der Austausch mit dem Publikum ist eine Energiequelle, die dich über alle Grenzen hinweg pusht.“

Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018


Woher hast du die Kraft genommen durchzuhalten, nicht frühzeitig abzubrechen?

Der Austausch mit dem Publikum, das ist eine Energiequelle, die dich geistig und körperlich über alle Grenzen hinweg pusht. Ich verstehe, wie man ein totaler Junkie dessen werden kann. Ich verstehe, wie Sachen möglich werden, die man nie von sich selbst für möglich hielt. Manchmal morgens, nach einer harten Nacht, habe ich mich wie ein Energie-Vampir gefühlt. Total ausgelaugt. Dann kamen die ersten Leute rein und es ist wie ein iPhone, das an der Steckdose hängt. Erst 2%, dann 3% und irgendwann konnte ich aufstehen, irgendwann konnte ich anfangen, mich zu bewegen. Irgendwann konnte ich mich aufsetzen, die Leute anfangen anzugucken. Also das ist ganz stark, diese Energie, die man da bekommen kann – der Wahnsinn!

Wie hast du das Publikum denn generell erlebt?

Die Begegnungen waren, wie die Menschen auch, unterschiedlich und individuell mit jedem, der da war. Und alle waren gut. Die waren einfach. Es gab Intensives, es gab Witziges, es gab Trauriges, es gab Mühsames, es gab alles. Und es war einfach alles auch gut so.

Was war denn besonders herausfordernd für dich?

Immer in meinen eigenen Gedanken zu kreisen, die sich ohne Unterbrechung, manchmal abends und nachts wiederholt haben, das war anstrengend. Es ist sehr interessant, wie das Gehirn und die Gedanken funktionieren, weil man könnte ja an alles denken, doch das Hirn spricht immer nur grün, grün, grün, grün. Gleichzeitig denkst du, du könntest ja auch gelb denken, oder orange. Man weiß, dass es noch ganz viel anderes gibt, und alles, was dein Hirn dir sagt, ist grün, grün, grün, grün. Und du denkst, all das bedeutet etwas. Was war denn grün in meinem Leben? Doch irgendwann begreift man, das hat nichts mit irgendwas zu tun. Mein Hirn produziert jetzt gerade das, und sich in diesen Schleifen zu bewegen – für mich waren das vier immer gleiche Themen –, das war anstrengend. Es gab ja keine Ablenkung. Ich konnte mich nicht mit etwas anderem füttern. Ich musste das einfach aushalten, bis das Publikum wiederkam. (lacht)

Hast du etwas Neues gelernt in diesen zwölf Tagen?

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, sich mit mehr Verletzlichkeit und mehr Offenheit im Herzen zu begegnen. Ich glaube, es ist ein riesiges Bedürfnis in dieser Gesellschaft, miteinander einfach sein zu dürfen. Mit all dem Shit, den man mit sich trägt, einfach zusammen sein und es nicht verstecken zu müssen. Nicht zumachen zu müssen, sondern aufzumachen, und das auch zu wagen. Einfach zu fühlen, worauf man Lust hat, und worauf man keine Lust hat. Nicht so viel Angst zu haben, das auch einander mitzuteilen. Ich glaube, dass ganz viele Menschen ganz fest verschlossen sind, weil sie so viel Angst haben, dass, wenn sie aufmachen, sie dann verletzt werden. Aber eigentlich ist der Mechanismus so, dass, wenn man selbst aufmacht, werden andere dies auch tun. Ich glaube, davon können wir alle ganz viel mehr gebrauchen.

Wie hast du das Ende, vor allem die letzten Minuten, deiner Re-Performance erlebt?

Die letzten Minuten waren sehr deutlich einfach die letzten Minuten. (lacht) Ich wusste, es sind die letzten Minuten, alle anderen wussten, es sind die letzten Minuten. Ich habe auf die Leiter gewartet, dann kam die und dann wusste ich, jetzt ist es zu Ende.
Davor bin ich durch alle Gefühls- und Gedankenstadien durch, die es in mir gibt: Vorfreude, extreme Angst, es nicht wahrhaben wollen, sich dagegen sträuben. Von „Es ist mir alles zu viel, lasst mich doch in Ruhe!“ bis „Können wir diesen Moment noch zehn Jahre verlängern? Das ist jetzt sehr schön gerade.“ Also es gab alles und tendenziell war alles ein bisschen zu viel. Die Energie war so krass in dem Raum. Es waren so viele Menschen da. Ich dachte, gleich stapeln sich die Leute in der Höhe. Ich weiß nicht, ob noch mehr reingepasst hätten. Es war so nervös, so viele Menschen waren selber so emotional, und ich habe auch ganz stark die Projektionen gespürt: Jetzt ist es bald zu Ende. Jetzt ist es bald zu Ende. Jetzt ist es bald zu Ende. Das war so eine nervöse, verstreute Energie – ganz anders als die anderen Tage. Es war auch unmöglich, sich dem zu entziehen. Ich hatte keine andere Wahl als einfach mitzumachen und auch in dieser Energie zu sein. Dann war ich einfach da und dann war es zu Ende.

Was hast du danach als Erstes getan?

Wieder zuhause habe ich meine Trainingshose und ein T-Shirt angezogen, mich an den Tisch gesetzt und Brühe gegessen. Erst mit einem Löffel aber das ging gar nicht. Ich habe sie dann in ein Glas umgefüllt und daraus getrunken. Dann haben wir uns aufs Sofa gelegt und gequatscht. Ich habe meinen Kopf auf abwechselnde Schöße gelegt. Geschlafen habe ich mit Mama und dem Hund neben mir im Bett und wir haben im Wechseltakt geschnarcht. Also viel alleine war ich jedenfalls nicht. (lacht)

Würdest du so eine Performance noch einmal machen?

Es war eine tolle Erfahrung. Ich kann es jetzt noch nicht sagen, aber wahrscheinlich schon.

Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018
Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, Bundeskunsthalle, 2018


MARINA ABRAMOVIC. THE CLEANER

bis 12. August 2018
in der Bundeskunsthalle, Bonn

Eine Ausstellung der Bundeskunsthalle in Kooperation mit dem Moderna Museet, Stockholm, und dem Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk.

  1. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: Bastian Geza Aschoff © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  2. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  3. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  4. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: Bastian Geza Aschoff © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  5. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  6. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  7. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH
  8. Lyn Bentschik, Re-Performance HOUSE WITH THE OCEAN VIEW, 2018, Foto: David Ertl © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH

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