Der Held in Hasenkostüm wird beim Happy End von einem Passanten geküsst.

Alles kann, nichts muss!

Gob Squad sucht Hollywood in Bonn

Vier Darsteller/-innen schwärmen auf einer magischen Reise live durch die nächtlichen Straßen von Bonn. Ihre Mission: der Anonymität der Großstadt den Krieg zu erklären. In Super Night Shot wird die Stadt zum Film-Set, und zufällig ausgewählte Passant(inn)en zu potenziellen Liebhaber(inne)n, Gegenspieler(inne)n und Befreier(inne)n. Ebenso komisch wie bewegend, versucht Gob Squad, die Banalität des alltäglichen Lebens in Glanz und Glamour eines Hollywoodfilms zu verwandeln. Das dabei entstandene unbearbeitete Filmmaterial wird direkt nach dem Dreh im Forum der Bundeskunsthalle auf großer Leinwand gezeigt. Alles kann passieren, und meistens ist dies auch der Fall, wie uns Sean Patten als Mitglied des Performance-Kollektivs verriet.

Man kann sagen, dass Super Night Shot eine eurer wirklich legendären Produktionen ist. Ihr habt diese schon viele Male in unterschiedlichen Ländern aufgeführt. Wie ist die Idee zu dieser Arbeit entstanden?

Die ursprüngliche Idee war, dass vier Personen gleichzeitig in einer Nacht durch eine Stadt spazieren und in der Überwachungsästhetik des Infrarotmodus filmen. Auf den Sony-Kameras, die wir damals hatten, hieß dieser Modus „Super Night Shot“. Die erste Arbeitsphase fand in unserer Heimatstadt Nottingham statt, wo die Wochenendabende eine sehr britische Mischung alkoholbedingter Missgeschicke sind, in der die üblichen Verhaltensregeln gebrochen werden, auf der Jagd nach Vergnügen und gelegentlicher Gewalt. Wir betraten diese Straßen mit laufenden Kameras und luden die Passant(inn)en ein, sich uns anzuschließen bei dem Versuch, das Leben wie in den Filmen zu leben und „magische Momente“ für die Kamera zu schaffen, bevor uns das Band auf den Tapes ausgeht. Nachdem wir mehrere Wochen die sozialen Grenzen in der Öffentlichkeit überschritten hatten, haben wir ein Manifest für unseren „Krieg gegen die Anonymität“ verfasst, Guerilla-Uniformen angezogen und unsere Aktionen zu einer 60-minütigen Mission umstrukturiert.

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„Der Krieg gegen die Anonymität des urbanen Raums scheint dringlicher denn je.“

Ihr überlasst fast alles an dem Abend dem Zufall, was die Sache besonders aufregend und spannend macht. Unterscheiden sich die Reaktionen der Passant(inn)en je nach Stadt oder Land stark voneinander?

Wir haben dieses Stück auf der ganzen Welt aufgeführt, und es sind die Ähnlichkeiten, nicht die Unterschiede zwischen den Orten, die am deutlichsten erkennbar sind: 95% der Menschen möchten nicht mit uns sprechen und lieber weitergehen. Das ist völlig in Ordnung – wir interessieren uns für die 5%, die offen genug sind, um mit einem Fremden zu sprechen und uns vielleicht zu einem Video-Abenteuer zu begleiten. Der größte Unterschied besteht zwischen den Regeln des sozialen Verhaltens heute – wo immer man sich auf der Welt befindet – und denen vor 15 Jahren, als wir das zum ersten Mal gemacht haben. Damals gab es kein YouTube, kein Smartphone, kein Google Maps. Wenn man damals mit einer Videokamera durch die Stadt lief, fragten die Leute, ob sie im Fernsehen sein würden. Heutzutage sind die Menschen viel besorgter, wenn es um ihre Persönlichkeitsrechte geht. Man lässt sich nicht einfach so filmen. Es scheint so, als sei unsere Mission, eine Art „Krieg gegen die Anonymität des urbanen Raums“, dringlicher denn je.

Ihr wisst vorher nie, was in der Stadt passieren wird. Wie aufgeregt seid ihr, wenn ihr nach nur 60 Minuten einen unbearbeiteten Film präsentiert, der gerade erst gedreht wurde?

Wir sind jedes Mal total nervös! Es ist heute noch genauso aufregend wie damals. Wenn das nicht der Fall wäre, hätten wir schon längst damit aufgehört. Es ist doch fast unverantwortlich, vom Publikum Geld zu verlangen für einen Film, der selbst dann noch nicht im Kasten ist, wenn es schon auf dem Weg zur Vorstellung ist. Aber wir brauchen diesen Druck, um das beste Ergebnis abzuliefern. Wir nehmen uns immer vor, nicht mit einem festen Plan auf die Straße zu gehen, sondern der Stadt zuzuhören und in Echtzeit darauf zu reagieren.

„Das Ziel ist es, eine völlig fremde Person aus Bonn zu finden, die ein Happy End für den Film kreiert.“

 Welche Rolle spielt das Scheitern in dieser Performance?

Das Scheitern ist bei diesem Projekt ein allgegenwärtiges Risiko. In gewisser Weise ist es unmöglich, unter diesen Umständen ein perfektes Werk zu schaffen. Es wird immer ein großartiges Gespräch oder ein besonderer Sound im Schnitt verloren gehen. Manchmal präsentiert sich auch rein zufällig ein toller visueller Moment in der Probe, der sich dann in der Vorführung nicht wiederholen lässt.
Ein erklärtes Hauptziel des Films ist es, eine völlig fremde Person aus Bonn zu finden, die ein Happy End für den Film kreiert, indem sie in bester Hollywood-Tradition den Helden küsst. Manchmal wird diese Person gefunden, bevor das Band ausgeht, manchmal nicht. Beide Enden, ob Kuss oder nicht, sind letztlich zufriedenstellend. Versagen können wir nur, wenn wir uns nicht voll und ganz auf die Menschen einlassen, die wir treffen, und wenn wir nicht unser Bestes geben. Diese Herausforderung nehmen wir gerne an!

Ihr seid schon einmal mit Gob Squad’s Kitchen zu Gast in der Bundeskunsthalle gewesen. Auch da fand eine gewisse Einbeziehung des Publikums statt. Deshalb ist es auch so schwer, eure Arbeiten zu beschreiben. Man muss euch einfach erleben. Was reizt euch an der Nähe zum Publikum oder zu den Passant(inn)en in der Großstadt?

Der white cube eines Ausstellungsraums oder die black box des Theaters inspirieren uns nicht so sehr. Wir interessieren uns für Menschen, mit all ihrer Zufälligkeit, Unberechenbarkeit und ihren persönlichen Geschichten. Sowohl in Gob Squad’s Kitchen als auch in Super Night Shot sind einige Elemente gescriptet und damit vorhersehbar. Andere sind dagegen völlig offen und dem Zufall überlassen. Ähnlich wie in der Kernforschung mögen wir es zu beobachten, was passiert, wenn Teilchen des Alltags mit sorgfältig konstruierten Kunstpartikeln zusammenprallen. Die Ergebnisse sind immer überraschend und oft ziemlich schön.


live arts präsentiert
GOB SQUAD
Super Night Shot
Live-Film-Performance
Samstag, 16. Februar, 20 Uhr

Der Held filmt sich selbst im Lauf.
Im Hasenkostüm an der Straßenkreuzung.
Darsteller mit Wolfsmaske raucht auf der Straße.