Wie ist es, mit Verschwörungs-theoretikern zu reden?

Dariia Kuzmych spricht über „Dresden. Menschen auf dem Platz“

In ihrer Arbeit Dresden. Menschen auf dem Platz porträtiert die Künstlerin Dariia Kuzmych Demonstranten der Pegida-Bewegung. Ausgestellt war das Werk in der Ausstellung Fragments From Now For An Unfinished Future der Friedrich-Ebert-Stiftung. Kuzmychs Installation besteht aus einem alten Schultisch, auf dem ein Buch im Licht der Tischlampe liegt. Rote Nelken, die auch auf dem Tisch stehen, lassen die Situation fast festlich erscheinen. Im Buch interviewt und zeichnet die Künstlerin Anhänger*innen der rechtspopulistischen Bewegung Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes). Sie gibt die teilweise extremen Äußerungen der Demonstrant*innen wieder, die auch von Verschwörungstheorien geprägt sind. So sagt ein Teilnehmer: „Also wir sind ja eigentlich kein Staat, wir sind ja alle Kriegsgefangene“. Das Ganze findet vor dem Hintergrund der Geschichte Dresdens statt: Das Buch erzählt von der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, dem Neuaufbau in der sozialistischen DDR und dem Umbruch, den das Ende der DDR für die Menschen in Dresden bedeutet hat. Dariia Kuzmych hat der Bundeskunsthalle einige Fragen zu ihrer Arbeit beantwortet.

Ihr Künstlerbuch erzählt unter anderem die Geschichte Dresdens seit dessen Zerstörung im Zweiten Weltkrieg. Was fasziniert Sie so an Dresden als Stadt?

Der Grund, warum ich mich für Dresden entschieden habe, ist, weil Pegida  genau dort entstanden ist.  Die Zerstörung von Dresden führte auch dazu, dass die Stadt mehr von der sozialistischen Stadtplanung beeinflusst war. Die Altstadt wurde später neugebaut, Pegida aber benutzt sie nicht nur als Ort, sondern auch als ideologischen Hintergrund.

Sie stellen Ihre Arbeiten in einem Buch dar, das in der Ausstellung ausliegt. Warum haben Sie sich für das eher ungewöhnliche Medium des Künstlerbuches entschieden, um Ihre Arbeiten darzustellen?

Ich wollte meine Recherche in eine Form bringen, die aus konkreten Geschichten und Phänomenen eine universellere Form bildet, die über die Zeiten geht. Das ist nicht nur ein Buch, sondern eine Installation, die zusammen mit dem Buch eine spezifische Situation bildet. Das Buch ist ein Teil der Arbeit.

Was bedeutet der Titel der Ausstellung, Fragments From Now For An Unfinished Future, für Sie und wie finden Sie Ihre Arbeit darin wieder?

Mir gefällt, dass es mit der Idee von ungleichmäßiger Zeit zu tun hat. Es gibt gesellschaftliche Veränderungen, die von allen unterschiedlich erlebt werden. Es können „Lücken“ in der Wahrnehmung entstehen, man erlebt dann einen Rhythmus, der schon beendet ist – eine Revolution, ein Krieg, eine Wendezeit. In der Ausstellung sind verschiedene künstlerische Positionen dargestellt, die Phänomene, die mit solchen Übergängen verbunden sind, thematisieren. Das Buch über Pegida ist ein künstlerisch-dokumentarisches Projekt, in dem ich Spuren von solchen Übergängen suchte.

Sie porträtieren in Ihrem Buch mehrere Pegida-Demonstranten und stellen auch die Meinungen dieser Menschen sehr deutlich dar. Wie glauben Sie, kann man die Meinung von Menschen ändern, die fest von Verschwörungstheorien überzeugt sind?

Viele Meinungen sind sehr von Propaganda geprägt, die dann mit eigenen Erfahrungen vermischt werden. Es entstehen eigene Interpretationen. Solche Erfahrungen sind leicht zu manipulieren, zu verstärken und für eigene Ziele zu benutzen. Diese Zusammenhänge haben mich interessiert. Bei einem Interviewten ist mir Folgendes passiert: Man hört meinen Akzent, deswegen fragen die Pegida-Teilnehmer*innen oft nach meiner Herkunft, der Ukraine. Deswegen erzählen sie öfters etwas über die Ukraine. Ein Teilnehmer hat mir erklärt, warum es so viele russische Fahnen auf der Demo gibt. Er meinte, Russland habe nie einen Krieg angefangen. Dann hat er mich angeschaut und war ganz verwirrt und ihm war eigentlich klar, dass das nicht stimmt. „Lass uns die Ukraine auslassen“, hat er dann gesagt und weitergeredet.

Was glauben Sie, kann Kunst tun, um für mehr Toleranz zu sorgen?

Ich denke, dass nach den Wendezeiten oder Krisen problematische Fragen bleiben, die wiederbelebt sein können. Die Geschichte ist damit noch nicht vorbei, sondern lebt in den Erfahrungen der Menschen weiter. Kunst kann vor allem Fragen stellen, vertuschte Prozesse hervorheben und kritisch interpretieren. Die dadurch eingeleiteten Prozesse können auch Veränderungen veranlassen. Aber Kunst ist natürlich nicht wie ein Chirurg, der schneidet und Probleme direkt behebt.

In Ihrem Nachwort beschreiben Sie, dass sich die Demonstranten in ein Europa zurückwünschen, dass es so nie gab. Was meinen Sie damit?

Durch das ganze Buch zieht sich eine Linie, die mit der Bildlichkeit der Stadt und ihren Einwohnern  verbunden ist. In einigen Interviews und Essays wird auf die Frage nach einem idealen Bild von Europa angespielt. Bei den Demos von Pegida konstruieren die Sprecher manchmal Feindbilder durch Kontraste: zum Beispiel, ob man eine Frau mit Kopftuch auf alten, echten, historischen europäischen Straßen sehen will. Deswegen fängt das Buch auch mit einer Zeichnung der Altstadt von Dresden an und damit mit der Frage, was echt ist und was künstlich. Europa ist auch ein ideologisch sehr manipulierbares Konzept.