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3 Fragen an …

Sebastian Knell

Sebastian Knell, 54, forscht und lehrt als Sprachphilosoph und Bioethiker am Bonner Institut für Wissenschaft und Ethik und war Gastprofessor in Berlin und Graz.

Wie hängen Denken und Sprache zusammen?
Aus Sicht der Philosophie gibt es darauf keine einfache Antwort. Denn mit dem, was wir „Denken“ nennen, meinen wir recht verschiedene Dinge. Zum einen bezeichnet dieser Ausdruck bewusste Prozesse, die wir als innere Vorgänge erleben. Denken in diesem Sinne lässt sich auch heute noch in Anlehnung an Platon als eine Art „Selbstgespräch der Seele“ begreiflich machen. Man kann diese Prozesse nämlich als fantasierte Formen der Rede betrachten. Danach stellen wir uns beim Denken im Stillen vor, dass wir mit jemandem reden. Und es ist natürlich schwer zu sehen, wie ein Lebewesen, das keine Erfahrungen mit dem wirklichen Gebrauch der Sprache besitzt, zu dieser Art des Fantasierens gelangen könnte.
Zusätzlich verwenden wir das Wort „denken“ im Alltag aber auch noch in einem anderen Sinne. Hierbei bedeutet das Wort ungefähr dasselbe wie der Ausdruck „etwas glauben“. Dabei beziehen wir uns eher auf ein komplexes Verhaltensmuster als auf einen bewusst erlebbaren Prozess. Und in diesem Sinne sagen wir zum Beispiel auch von einem Hund, der eine Katze durch den Garten jagt und anschließend an einem Baum empor bellt, dass er denkt, die Katze sitze auf dem Baum. Hierfür ist dann Sprachfähigkeit offenkundig keine
Voraussetzung.

Was könnte man ohne Sprache denken? Denken wir auch in Bildern?
Wie das Beispiel des Hundes zeigt, können nichtsprechende Lebewesen Überzeugungen in Bezug auf die wahrnehmbare Umgebung haben. Das heißt aber nicht, dass wir annehmen dürfen, der Hund kenne unseren eigenen Begriff der Katze oder des Baumes. Passender wäre es wahrscheinlich zu sagen, der Hund denkt, dass das Vieh dort oben sitzt. Auf der anderen Seite gibt es gedankliche Inhalte, die von vornherein ein Sprachverständnis erfordern. Um zum Beispiel zu denken, dass die Zahl π unbegrenzt viele Stellen hinter dem Komma hat, oder um zu denken, dass es im Juni heißer war als im Mai, muss man mit den zugehörigen sprachlichen Ausdrücken vertraut sein, also mit den mathematischen Zahlzeichen und mit den kalendarischen Ausdrücken „Mai“ und „Juni“. Geistige Bilder hingegen spielen vor allem bei bewussten Denkprozessen eine Rolle. Das kennt wahrscheinlich jeder aus der eigenen Erfahrung. Allerdings vermute ich, dass sich die Funktion bildlicher Vorstellungen darauf beschränkt, bestimmte Gedanken auszulösen oder assoziativ einzukleiden. Sie werden dadurch nicht Teil der Gedanken selbst.

Wie beeinflusst, formt, verengt, erweitert Sprache unser Denken?
Durch den Kontext einer sprachlichen Betätigung wird unsere Denkaktivität umgeformt zur Teilhabe an einer sozialen Praxis, die von Regeln bestimmt ist. Wir mögen ohne Sprache bestimmte Dinge denken können, aber erst die Äußerung der Gedanken in der Kommunikation mit anderen versetzt uns in die Lage, die Bildung unserer Überzeugungen als einen normativen Vorgang zu verstehen – als einen Vorgang nämlich, bei dem wir etwas „richtig“ oder „falsch“ machen können und der Korrektur durch andere ausgesetzt sind.  Jemand kann uns zum Beispiel sagen: „Du irrst dich. Die Katze sitzt nicht auf dem Baum, sondern hinter dem Busch dort drüben. Siehst du nicht ihren Schwanz?“ Es ist daher so, dass ein Denken, das auf wahre und gültige Urteile abzielt, stets dieses normative und soziale Setting voraussetzt. Erst durch die Kommunikation mit anderen werden wir befähigt, unser Denken auf gute Gründe zu stützen und kritisch im Lichte von Gegengründen zu reflektieren.

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Autorin: Henriette Pleiger, Foto: Photo by Jelleke Vanooteghem on Unsplash
Dieser und weitere Artikel über das Gehirn finden sich in unserem Ausstellungskatalog zur Ausstellung Das Gehirn. In Kunst & Wissenschaft.
Die Ausstellung ist noch bis zum 26. Juni 2022 in der Bundeskunsthalle zu sehen.